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"Meine Frau hat viel für mich geopfert"

Headcoach Tuomas Iisalo im Interview - Teil 1

Tuomas Iisalo heißt der neue Baskets-Headcoach: ein entschlossener, an der Seitenlinie emotionaler Trainer, der das Spiel in der Coaching-Zone mitzuspielen scheint. Bei näherem Kennenlernen wird jedoch schnell klar: das ist nur eine Seite des 38-jährigen Finnen. Iisalo ist ein Mann der Nuancen, ein sehr belesener, ruhiger und reflektierter Familienvater, dem seine Familie ebenso wichtig ist wie der Basketballsport. Nach seinem Urlaub (und vor seiner Ankunft in Bonn am gestrigen Mittwoch) nahm sich der Trainer die Zeit, um über die "Corona-Saison", seine Familie und seine Kindheit in Ost-Berlin zu sprechen. Das Interview führte Marius Volkmann am 8.6.2021.

Foto: Andreas Bez

Hallo Tuomas, freut mich, dass du dir die Zeit nimmst. Wie geht es dir und wo bist du gerade?

Tuomas Iisalo: "Mir geht es gut, danke! Wir sind am Sonntag aus dem Urlaub wiedergekommen und nun zurück in Crailsheim. Zwei unserer drei Kinder sind wieder in der Schule – eins geht in die Grundschule, das andere ins Gymnasium – und unsere Tochter geht in den Kindergarten. Glücklicherweise hat gestern die Schule wieder angefangen, das hilft uns schon sehr. Ich werde diese Woche nach Bonn kommen, bis Samstag bleiben, und dann mit meiner Frau die Wohnungssuche starten.

 

Wonach suchst du denn? Vielleicht können unsere Fans dir ein paar Tipps geben…

"Wir haben eine relativ große Familie, drei Kinder, zwei davon teilen sich aktuell ein Zimmer. Aber wir werden wohl bald jedem ein eigenes Zimmer geben müssen. Deshalb wäre eine Wohnung oder ein Haus mit mindestens fünf Zimmern optimal. Es sollte nicht allzu weit vom Telekom Dome entfernt sein, damit die Wege möglichst kurz bleiben. Aber wir sind gern in der Natur, daher sollte es nicht unbedingt im Stadtzentrum sein. Ich habe schon auf der Karte gesehen, dass Bonn viele grüne Gebiete und natürlich den Rhein hat. Daher freue ich mich wirklich sehr darauf, das alles zu erkunden."

 

Wo hast du deinen Urlaub verbracht?

"Ich habe ihn mit meiner Familie am Bodensee verbracht. Es war unser erster Urlaub seit langem. Durch Corona wurde das Reisen ja deutlich erschwert, daher sind wir in Deutschland geblieben. Es war schön, der Alltagsroutine zu entfliehen, bevor die Pfingstferien in Bayern vorbei waren und die Kinder wieder in die Schule mussten. Ich weiß noch nicht, ob wir überhaupt die Zeit haben, im Sommer nach Finnland zu reisen. Die Kinder müssen ja in die Schule und wir versuchen, so schnell wie möglich in Bonn heimisch zu werden."

 

In Crailsheim bist du immer zu Fuß zur Halle gegangen. Lag das daran, dass Crailsheim relativ klein ist oder gehst du einfach gerne spazieren?

"Ich bin sogar gejoggt – deshalb bin ich wahrscheinlich so gut in Form (lacht). Aber im Ernst: Es war wie ein Ritual von mir, dass ich an einem Spieltag zum Vormittags-Training in die Arena Hohenlohe gelaufen bin. Sie liegt außerhalb von Crailsheim in Ilshofen, ca. 12 Kilometer von unserem Haus entfernt. Laufen ist neben Lesen mein größtes Hobby. Ich versuche in der Woche 30 Kilometer zu laufen, was aber in der Saison nicht immer möglich ist. Und auch im Sommer schaffe ich es nicht immer, weil ich dann natürlich viel Zeit mit der Familie verbringen möchte. Aber es hilft mir sowohl körperlich als auch mental sehr. Beim Joggen nutze ich die Zeit alleine, um über vieles nachzudenken und Geschehenes zu reflektieren. Ich höre dabei aber auch gerne Hörbücher oder Podcasts über verschiedene Themengebiete, was mich zu vielen Ideen inspiriert."

 

Welche Podcasts hörst du denn?

"Ich höre mir „Revisionist History“ von Malcolm Gladwell an, Hörbücher und Podcasts von Michael Lewis, der unter anderem „Moneyball“ und „The Big Short“ geschrieben hat, Shane Parrishs „Mental Model“ und seinen Podcast „Farnam Street“. Es geht hauptsächlich darum, verschiedene Ideen aus verschiedenen Bereichen des Lebens zu diskutieren. Zum Beispiel erklärt ein Dirigent, wie uns Musik im Leben beeinflusst oder ein Astrophysiker erklärt uns das Weltall. Sie erklären komplexe Themengebiete so, dass es jeder verstehen kann. Das finde ich wirklich gut und lerne dabei sehr viel neues. Natürlich höre ich auch Basketball-Podcasts wie „Thinking Basketball“ und noch einen finnischen Basketball-Podcast."

 

Und welche Bücher liest du?

"Ich lese kaum Romane, hauptsächlich Sachbücher oder populärwissenschaftliche Literatur. Manchmal auch Bücher über Unternehmens- oder Menschenführung. Aktuell interessiere ich mich sehr für Sporthistorie und lese gerade „Der vierte Stern – Wie sich der deutsche Fußball neu erfand“ von Raphael Honigstein, „Revolutionen auf dem Rasen: Eine Geschichte der Fußballtaktik“ von Jonathan Wilson oder auch „The Perfect Pass“ von S.C. Gwynne, wo es um die Evolution des Passes im American Football geht. Dabei lerne ich viele interessante Ideen und Sichtweisen, die vielleicht im Basketball noch nicht angekommen sind, aber trotzdem für den Sport nützlich sein könnten."

 

Du scheinst also sehr offen für neue Ideen und Lösungsansätze zu sein...

"Ja, ich habe schon als Kind viel gelesen und wollte damals schon viel über Basketball wissen. Ich komme aus einer Kleinstadt, wo es kein richtiges Basketballtraining gab. Daher bin ich oft in die Bibliothek gefahren, um mir Bücher über Basketball auszuleihen und habe so viel über die Theorien und Grundlagen des Sports gelernt."

 

Ich habe kürzlich gelesen, dass die Finnen die glücklichsten Menschen der Welt seien. Kannst du mir verraten, wieso?

"Ich glaube vieles resultiert daraus, wie die Gesellschaft in skandinavischen Ländern strukturiert ist. Es wird versucht, die soziale Ungleichheit zu verringern und sich um die Grundbedürfnisse der Menschen zu kümmern, zum Beispiel über das Grundeinkommen oder die Krankenversicherung. Wenn sich um die Grundbedürfnisse jedes Einzelnen gekümmert wird, hilft es den Menschen dabei, sich zu entfalten. Das kann man auch gut auf ein Basketball-Team übertragen. Ich bin vielleicht kein gutes Beispiel, weil ich von außen vielleicht nicht wie der kontaktfreudigste, offenste oder auch glücklichste Mensch wirke (lacht laut).

Hinzu kommt, dass in der finnischen Gesellschaft relativ flache Hierarchien herrschen. So besucht zum Beispiel der finnische Präsident regelmäßig eine öffentliche Sauna, wo er auf die Bevölkerung trifft und mit ihnen über Politik spricht."

 

Deutschland liegt nur auf Platz 13. Du kennst sowohl Deutschland als auch Finnland sehr gut: Was können die Deutschen von den Finnen lernen?

"Ich weiß nicht, ob ich den Deutschen einen Rat geben kann. Dadurch, dass meine Kinder hier zur Schule gehen, habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass es in Deutschland oft nur den einen, richtigen Weg geben soll, um ans Ziel zu kommen, und dass man diesen Weg bloß nicht verlassen soll. Es gibt da ein berühmtes Zitat: „Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, wirst du jedes Problem als Nagel betrachten.“ Das führt unweigerlich zu Frustration. Ich verfolge jedoch den Ansatz, dass sich sowohl Probleme als auch ihre Lösungsansätze ständig verändern können, und dass es keinen Königsweg gibt."

 

 Klare Ansage: Tuomas Iisalo an der Seitenlinie im Telekom Dome. Foto: Wolter

 

Du bringst deine gesamte Familie mit nach Bonn. Wie schwer ist es im Profisport, die Familie und den Job unter einen Hut zu bringen?

"Ich glaube, dass man es von außen betrachtet kaum nachvollziehen kann, wie schwer das ist. Das betrifft auch die Spieler und vor allem ihre Familien, die große Kompromisse eingehen müssen. Ich habe mit neun Jahren angefangen, Basketball zu spielen, war 14 Jahre lang Basketballprofi und bin seit sieben Jahren Trainer. Alles in unserem Leben dreht sich um den orangenen Ball. Für uns war es ein großes Glück, fünf Jahre lang in Crailsheim bleiben zu können. Das gibt es nicht so oft in diesem Job. Und hoffentlich wird das auch in Bonn der Fall sein. Aber in diesem Geschäft gibt es keine Garantien, Verträge sind verhältnismäßig kurz und manchmal passieren Dinge, auf die man keinen Einfluss hat. Dabei versucht man gleichzeitig, die Familie zusammenzuhalten – und dann schenkt dir das Leben oben drauf noch eine Pandemie.

In Deutschland fehlt uns natürlich die Familienstruktur, die uns während Corona hätte unterstützen können. Wenn dann deine Kinder nicht zur Schule gehen können, sorgt dass für noch mehr Stress und Druck in der Familie. Deshalb haben meine Frau und ich den Trainerjob auch immer als Teamwork verstanden. Sie hat für mich viel geopfert: Sie war Ärztin in Finnland und hat eine sehr renommierte Position aufgegeben, um sicherzustellen, dass mit der Familie alles reibungslos abläuft. Wir sehen das zwar als Teamwork an, aber in Wirklichkeit ist klar: Natürlich bin ich der Glückliche, der in einem Bereich arbeiten kann, den ich schon als Kind geliebt habe und der letztlich mein Beruf geworden ist. Das ist alles andere als selbstverständlich. Wir sind jedenfalls sehr glücklich, dass sich in Deutschland für uns eine tolle Chance ergeben hat. Meine Frau und meine Kinder sprechen mittlerweile perfektes Deutsch, während ich das schwarze Schaf der Familie bin (lacht)."

 

Dabei sprichst du doch sehr gut Deutsch! Das liegt wohl auch an deiner Kindheit, die du vier Jahre lang in Deutschland verbracht hast, oder? 

"Als ich etwa ein Jahr alt war, ist unsere Familie nach Ost-Berlin gezogen, weil mein Vater dort als Korrespondent einer finnischen Zeitung gearbeitet hat. Er hatte glaube ich einen Diplomaten-Status, deshalb konnten wir ohne Probleme die Grenze in Berlin überqueren, wo es viele andere Geschäfte gab. Das war eine sehr spannende Zeit, in der ich gleichzeitig Deutsch und Finnisch gelernt habe und von uns allen am besten Deutsch sprechen konnte. Generell hatte ich nie große Probleme, Sprachen zu lernen, auch Englisch fiel mir leicht.

Als ich fünf Jahre alt war, mussten wir jedoch zurück nach Finnland ziehen. Ich wurde in Berlin andauernd krank und die Ärzte sagten uns, dass es an der Luftverschmutzung lag. Wir sind dann nach Helsinki gezogen und seitdem hatte ich nicht mehr diese Probleme. Aber die Zeit in Berlin hat mich definitiv geprägt."

 

Das vergangene Jahr war für uns alle nicht einfach. Wie hast du die "Corona-Saison" erlebt?

"Es war für mich körperlich und mental die schwerste Saison, die ich je erlebt habe. Das lag aber nicht daran, dass man nur zuhause sein konnte. Ich bin grundsätzlich gerne zuhause. Wenn meine Frau und ich einmal im Monat auswärts essen gehen, ist das schon oft. Wir verbringen lieber viel Zeit in der Natur. In einer Saison hast du sowieso nicht viel Freizeit, mit Ausnahme der Nationalmannschaftsfenster vielleicht. Da sind wir gerne für einen Kurztrip in die Alpen oder nach Frankreich gefahren, was leider auch nicht möglich war.

Das Schlimmste waren die fehlenden Fans, weil dadurch das vielleicht Wichtigste in den Hallen gefehlt hat: die Emotionen, dieses Gefühl von Zusammenhalt und dass man zusammen etwas erreichen will! Bei Heimspielen können dich die Fans antreiben und auswärts bist du motiviert, die Fans irgendwie aus dem Spiel zu nehmen. Dadurch entsteht im Team Energie, es festigt den Zusammenhalt untereinander, was wiederum deine Leistung steigert. Was wir jedoch gut gemacht haben ist, dass wir diese fehlende Energie als Team kompensiert haben – und zwar in jedem Spiel und in jedem Training. Solange bis es für uns selbstverständlich wurde. Das hat uns in der Saison einen Vorteil verschafft.

Aber jeden Tag, egal ob Training oder Spiel, dein absolut Bestes zu geben, fordert einen hohen körperlichen und mentalen Tribut. Es gab für uns nie den Zeitpunkt, zu entspannen und durchzuatmen oder uns auch nur in der Halle umzuschauen, um die Atmosphäre zu genießen und die vielen glücklichen Gesichter zu sehen. Nach einem Spiel gehe ich für gewöhnlich in den VIP-Bereich, führe Interviews, unterhalte mich und spüre die Emotionen der Fans – selbst das fehlte mir komplett. Und ich kann mir kaum vorstellen, wie das unsere Spieler beeinflusst hat, alles junge Männer zwischen 20 und 30 Jahre alt, die keinerlei soziale Kontakte außerhalb des Teams haben konnten. Gleichzeitig fordern wir Trainer jeden Tag aufs Neue fast schon unzumutbares von den Spielern. Wie wir das am Ende durchgestanden haben? Ich weiß es wirklich nicht, aber es verrät viel positives über den Charakter der Spieler.

Ich kann kaum erwarten, bis das alles vorbei ist. Ich bin mir sicher, dass jedes Team den Support der Fans viel mehr zu schätzen gelernt hat. Umgekehrt hoffe ich natürlich auch, dass die Zuschauer gemerkt haben, dass ihnen im Leben etwas gefehlt hat und dass sie bald wieder Teil von etwas Größerem sein wollen."

 

Hast du in der Corona-Saison etwas über dich gelernt, was du vorher nicht wusstest?

"Ich bin mir nicht sicher, wer es gesagt hat, aber es gibt dieses Zitat: „Mitten im tiefsten Winter wurde mir endlich bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.“ Als es vor zwei Jahren mit den Merlins sportlich nicht gut lief, habe ich gelernt, dass es mich dazu angespornt hat, noch ein besserer Trainer zu werden und noch mehr von mir selbst einzufordern. Auch mit dem Rücken zur Wand habe ich noch funktioniert – oder sogar noch besser funktioniert. Das ist zwar schon zwei Jahre her, jedoch konnte ich in der vergangenen Saison von dieser Erfahrung profitieren. Klar könnt ihr jetzt sagen: „Schau mal auf die Tabelle, worüber beschwerst du dich?“ Aber es liegt wohl in der Natur des Menschen, immer nach dem Nächstbestem zu streben. Wenn du Dritter geworden bist, fragst du dich: „Warum denn nicht Zweiter?“"


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