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11.6.2008: Der Umzug ins neue Zuhause

Der Staub, die Traumfabrik, das Finale

Vor 12 Jahren erreichten die Telekom Baskets Bonn zwei Meilensteine ihrer Vereinsgeschichte: So standen sie nicht nur zum vierten Mal ihrer Vereinsgeschichte im BBL-Finale, sondern schafften quasi über Nacht den Umzug aus der Hardtberghalle in ihr neues Zuhause dem Telekom Dome.

Gespendet, gepflastert, gefeiert: Die Baskets-Fans sind eine der Grundsäulen des Telekom Dome. Foto: Wolter

 

Der Text erschien 2018 anlässlich des zehnten Jubiläums des Telekom Dome.

Im Mai 2008 rollen nachts keine Schwerlast-Lkws aus Hessen mehr zum Hardtberg. Die Beton-Tribünen-Fertigteile sind alle da. Ein Riesengerät im Herz der Baustelle hat sie verteilt und zu einer Arena zusammengepuzzelt. Das Dach ist auch schon drauf. Selbst der Laie erkennt auf den ersten Blick nach innen: Hier entsteht eine Halle mit vielen Zuschauerplätzen. Über die Sportart lässt sich (noch) rätseln. Draußen stehen bergeweise Baumaterialien, Baugeräte und – vor allem – Baumüll. An zwei Wochenenden versammeln sich Fans, Handwerker und Baskets-Mitarbeiter, um Pflastersteine zu tragen, Sand von hier nach dort zu schaufeln oder Feinsplitt zwischen das Pflaster zu kehren. Mittags rollt ein Pizza-Pasta-Mobil heran: Paolo Granatella füllt den Kalorientank der Helfer wieder auf. Quadratmeter um Quadratmeter wächst die Parkfläche. Es herrscht keine Eile. Irgendwann vor der Saison 2008/09 soll der Telekom Dome eingeweiht werden. Fachkräfte tüfteln bereits am Eröffnungsevent.

Am 20. Mai 2008 sind in Quakenbrück noch 3,79 Sekunden auf der Spielzeit-Uhr. Der Tabellenzweite Quakenbrück führt gegen den Tabellensiebten Bonn 76:75. Dann wirft Baskets-Spielmacher Miah Davis zu John Bowler ein, Kurzpass zurück, ein unnachahmliches Dribbling zum Korb: 76:77. 48 Stunden später machen die Telekom Baskets den Halbfinal-Einzug in der Hardtberghalle perfekt. In den Köpfen des Baskets-Innercircle kreist eine Frage: Was passiert, wenn die Baskets auch Frankfurt aus den Playoffs werfen? Könnte sich die sportliche Erfolgssträhne mit Blick auf die neue Halle in ein Worstcase-Szenario der verpassten Chance verwandeln? Der Telekom Dome, wäre, Stand 22. Mai, für eine Finalserie kaum einsatzbereit.

 

 

Am 3. Juni steht es zwischen Frankfurt und Bonn 2:2. Die Baskets entscheiden: Wir prüfen gemeinsam mit der Stadt Bonn, wie und ob überhaupt eine Chance besteht, alle Einweihungspläne über den Haufen zu werfen und spontan die neue Halle – im Fall der Fälle – mit einer Finalserie gegen Alba Berlin einzuweihen. Es steht ja noch nicht einmal die Korbanlage, auch das Holzparkett ist nicht verlegt, immerhin sind die Sitzschalen montiert. Dazu 2133 Lampen, 126 Toiletten, 112 Handwaschbecken, 411 Steckdosen, 116.000 Meter Elektrokabel – alles fertig. Montiert, gebaut oder verlegt.

 

 

Nach einer Baustellen-Begehung am Mittwoch, den 4. Juni 2008 mit allen relevanten städtischen Amtsleitern, mit Polizei und Sicherheitsdienst wird festgelegt, was bis zum „Fall der Fälle“ erfüllt sein müsste. Eine lange Liste. „Die Devise lautete: In Falle eines Finaleinzugs soll im Telekom Dome gespielt werden. Ansonsten zu Beginn der neuen Saison“, erinnert sich Dirk Eultgen, heute Technischer Leiter des Telekom Dome. „Wir waren überzeugt, wenn alles optimal läuft, schaffen wir das“, sagt Hans-Günter Roesberg, Leiter Hallentechnik. Einzelne Mammutaufgaben, etwa der Sitzplatzttransfer der Dauerkarteninhaber (Wer sitzt wo?) aus der Hardtberghalle in den Dome, schrumpfen zu Peanuts. Dazu der ganze Baudreck, der auf der „Wir-schaffen-das“-Liste gar nicht steht. Ist ja auch nicht sicherheitsrelevant. Außen grober Baumüll, innen feinster Baustaub. Mit Besen und Kehrschaufeln kommt man hier nicht weiter. „Alle Beteiligten waren damals am Limit und arbeiteten fast schon in einer Art Trance", erinnert sich Pressesprecher Michael Mager. „Seit 24 Monaten hatten wir Tag und Nacht diese Baustelle im Kopf, hunderte Bausitzungen hinter uns. Und jetzt auch das noch. Aber wir haben es geschafft!"

 

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Am 5. Juni 2008 fünftes, entscheidendes Halbfinale in Frankfurt. Noch wenige Sekunden sind zu spielen, es ist die umgekehrte Situation wie am 20. Mai in Quakenbrück. Die Baskets führen 75:74. Pascal Roller, der Playmaker der Skyliners, nimmt alle Verantwortung auf sich, stürmt mit Ball zum Korb – und verlegt. Damit löst ein vergebener Korbleger 190 Kilometer weiter nördlich den Ernstfall aus. Der Dreck muss nun wirklich weg. Blitzschnell und blitzsauber. Nicht nur das. Der Schlusspfiff in Frankfurt bedeutet für Eultgen: „Einen Tag Pause, um Luft zu holen … und dann Vollgas!“ – in allen Bereichen einer (noch) unvollendeten Halle.

 

 

Sechs Tage bleiben, um einen Rohbau in eine bundesligataugliche Spielstätte zu verwandeln: „Foyer, Tribünen, Gänge, Umkleidekabinen“, zählt Eultgen auf. Doch für eine professionelle Express-Baureinigung fehlt das Geld, wie schon zuvor für die Parkplätze. „Eiszeitliche Lösschichten“, murmelt Baskets-Präsident Wolfgang Wiedlich, „die waren schuld, kurz vor Baubeginn mussten wir einer Pfahlgründung wie in Venedig zustimmen.“ Mehrkosten: 500.000 Euro. Die waren nicht im Budget. Wiedlich erinnert sich: „Alles, was kurzfristig zu mobilisieren war, wurde mobilisiert.“ Eultgen: „Baskets-Angestellte, Mitarbeiter und das Knowhow des Reinigungsunternehmens Germania und ganz viele Fans griffen uns unter die Arme – sonst hätten wir den Dome überhaupt nicht sauber bekommen.“ Und „besenrein“ reicht nicht, eher „stahlbetonporenrein“, meint Wiedlich. „Wir brauchten spezielle Industriesauger.“ Bei den vielen Treppen und Stufen im Dome eine Sisyphusarbeit. Eultgen: „Hinzu kam noch die gesamte restliche Infrastruktur aus der Hardtberghalle, die ebenfalls in die neue Arena transportiert und dort wieder installiert werden musste.“ Thomas Kemp, Chef der „Germania“, erinnert sich: „Wir haben damals alle verfügbaren Sauggeräte zusammengetrommelt und die Helferschar koordiniert. Das war schon eine echte Herausforderung, die aber auch Spaß gemacht hat!“

Parallel arbeiteten Michael Mager und Helene Wiedlich an einer narrensicheren Lösung, um ein Tohuwabohu zu verhindern, wenn 2600 Dauerkartenbesitzer ihren neuen Platz suchen. „Wir erstellten Listen, links eine Spalte mit dem alten Platz in der Hardtberghalle, rechts eine Spalte mit dem neuen Platz, und diese Listen klebten wir überall an Türen und Wänden im Foyer des Domes“, sagt Helene Wiedlich. „Wir setzten das Verständnis der Fans einfach voraus, dass angesichts des Zeitdrucks keine individuelle Platzwahl möglich war für ein oder zwei Finalspiele.“ 

Dann beginnt der Kampf gegen den Baustaub, das große Saugen und Nasswischen. Für das bloße Auge ist danach kaum ein Unterschied sichtbar. Grauer Stahlbeton bleibt grauer Stahlbeton. Die Tage verrinnen. Rastloser Einsatz an allen Fronten. „Wir sind gefühlt nur für ein Nickerchen und eine schnelle Dusche nach Hause gefahren“, sagt Eultgen. Die VIP-Rotunde bleibt indes Rohbau – und staubig. Meterweise werden Teppichbahnen ausgerollt. Sie weisen den vielen geladenen Gäste und Sponsoren den Weg – ins Ausbildungszentrum. Dort stehen Büfett, Tische und Stühle direkt unter den Korbanlagen. „Das hatte was“, sagt Wiedlich.

Am Abend des 10. Juni, ein Dienstag, zeichnet sich Licht am Ende des Tunnels ab. Eultgen: „Es war eine wahre Herkulesaufgabe, dieses große Loch voller Nichts mit der nötigen Infrastruktur und Leben zu füllen. Wir hatten sie bestanden.“

Am 11. Juni 2008 beginnt der große Tag um 6:30 Uhr. Das Holzparkett glänzt, die Korbanlagen stehen, bald kommt eine BBL-Abordnung, die das Spielfeld prüft und die Technikinstallationen. Ist alles regelkonform? Im Fachjargon heißt es: Die BBL nimmt eine Halle ab. Die Baskets-Verantwortlichen treiben ganz andere Ernstfall-Fragen um: Was haben wir vielleicht übersehen, was unterschätzt? Alle sind nervös. Die Feuerwehr kontrolliert das Labyrinth der Gänge: Wo liegt noch eine potenzielle Brandlast? Eultgen fragt sich: „Gehen hier wirklich 6.000 Zuschauer rein … und vor allem auch heil wieder raus?“ Oder: Wie belastbar sind die Stromkreise im Foyer, ohne dass ein zu viel eingesteckter Wasserkocher die Sicherung raushaut? Wenn Fans Wunderkerzen auf der Stehplatztribüne zünden, schlägt dann die Brandmeldezentrale Alarm? Wie reagiert die Lüftung auf in die Arena strömende Menschenmassen? Wie wird sich das Stellplatz-Konzept bewähren? Heute vor zehn Jahren sind die Einzelhandelsgeschäfte Edeka, Lidl und DM auf der Großbaustelle bereits geöffnet. In den heutigen Baskets-Büroräumen steht noch das Wasser. Rohbau eben.

Um 16:30 Uhr vollzieht der Fanclub "Die Fans - Defense" symbolisch den Umzug. Man trifft sich vor der Hardtberghalle. Alle sind euphorisiert. Tatsächlich, die neue Halle steht. Keiner hat mehr dran geglaubt, aber heute wird sie eingeweiht. Und das ausgerechnet gegen Alba Berlin. Der Zufall führt meisterhaft Regie. 1997, 1999, 2001: Die Finalserien gegen die Hauptstädter bot manche Schlacht, jeder Fan hat jede im Kopf und damit die Hardtberghalle. Mehrere Hundertschaften setzen sich jubelnd hinter einem Baskets-Banner in Bewegung. Die Polizei eskortiert den Umzug zum neuen Baskets-Zuhause. Es liegt quasi um die Ecke, nur 667 Meter vom Ort der alten Schlachten entfernt.

 

 

 

Straßensperre für die Fans. Der symbolische Fan-Umzug von der Hardtberghalle zum Telekom Dome. Foto: Wolter

 

Ab 18 Uhr strömen die Massen. Das war abzusehen, der Telekom Dome war in 29 Minuten ausverkauft. Der Online-Ticketverkauf machte es möglich. Die erste Basketballhalle in Deutschland, die ein Club selbst gebaut hat: Wie sieht so ein Preiswert-Bau aus? Funktioniert er überhaupt? Das lockt viele Journalisten nach Bonn, auch von weit her. Spiegelonline schreibt: „Der Club ist einen ungewöhnlichen Weg gegangen: »Nein, nicht die Stadt hat die Halle gebaut, auch nicht die Telekom, und es gibt auch keinen Investor«, spult Präsident Wiedlich im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE herunter. Er hat es schon unzählige Male erklären müssen.“ Die Süddeutsche schreibt über eine „Traumfabrik“. Bei späteren Führungen wird Wiedlich immer sagen: „Sie müssen sich die ganze Konstruktion wie ein Kreuzfahrtschiff vorstellen. Jede Fläche, jeder Raum wird genutzt.“

Als der Telekom Dome um 18:45 Uhr öffnet und die mehrere Hundert Meter lange Fanschlange abbaut, ist das Staunen groß. 56.000 Watt unter der Decke leuchten nicht nur das Spielfeld aus, sondern begeistern Sportfotografen und TV-Teams. Bis heute hat der Dome die höchste Lux-Zahl der Liga. Einige Fans sind in den ersten Minuten nur stumm. Es rollen Tränen über Wangen. Ursache? Eine Mischung aus Rührung und Freude. Dass wir das noch erleben dürfen!

 

 

 

Die Schlange windet sich um das Foyer. Um die Menge zu entzerren ist der Einlass auf der Foyerrückseite. Foto: DTAG

 

Um 20:15 Uhr wird das Finale Bonn-Berlin im Telekom Dome angepfiffen. Bald ist es so wie immer. Nur lauter. 3400 Fans waren es in der Hardtberghalle, nun sind es 6000. „An diesem Abend ist der Star die Halle“, schreibt ein Reporter, „Ein Schmuckkästle“, sagt der TV-Live-Kommentator. Knapp zwei Stunden später hat so viel Rückenwind die Baskets zum 81:71-Sieg über die „Albatrosse“ getrieben. Das Bier fließt in Strömen, die Nervosität hat sich verflüchtigt, und die 6.000 kommen auch alle wieder heil raus. Auch das noch und fast vergessen: 48 Stunden später rollt ein Final-Sonderzug nach Berlin. Wiedlich sagt den Fans im Namen der Baskets damit „Danke“ für den „Baustaub-weg-“Akkord. 

 

Das Debüt im Telekom Dome: Telekom Baskets Bonn vs. ALBA Berlin (Spiel 2, Finale 2008)

 

 

Hintergründe, Ergebnisse, Statistiken und Fotos aus der Saison 2007/2008 sind hier zu finden. >>


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