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Big Daddy

Center-Duell: Julian Gamble vs. John Bryant

Ein landläufiger Irrglauben besagt, dass die BBL immer Guard-lastiger wird. Dass es die kleinen Spieler sind, die dem deutschen Oberhaus ihren Stempel aufdrücken. Dass der klassische Pivot ein vom Aussterben bedrohter Dinosaurier ist. Dass die Entwicklung vom Power Forward weg vom „Enforcer“ hin zur „Stretch Four“ nur die Spitze des evolutionsgetriebenen Eisberges ist. Julian Gamble und John Bryant können darüber nur lachen.

Der "König" und "Big John": Zwei unterschiedliche Center-Typen. (Foto: Jörn Wolter)

Es geschieht schnell, auf dem Weg durch den basketballerischen Zahlenwald aus Versehen falsch abzubiegen und sich durch bunte Statistiken blenden zu lassen. Kein Wunder, immerhin werden dem geneigten Fan nur in den seltensten Fällen mehr als Punkte, Rebounds und Assists feinsäuberlich aufbereitet. Wer sich darauf beschränkt, wird schnell eine Bestätigung der eingangs genannten These finden. Mit Phil Scrubb (Frankfurt, 19,3 PpS) und Jerome Randle (Erfurt, 18,7 PpS) führen zwei Guards die Liste der Liga-Topscorer an, dicht gefolgt von Robin Benzing (Würzburg, 18,5 PpS) – der Forward schickt immerhin 38,2 Prozent seiner Würfe aus der Distanz auf die Reise.

Viel interessanter ist jedoch der Blick darauf, welchen Wert ein Akteur für seinen Club hat, was sich über den Effektivitätswert darstellt. Unter den Top10 tauchen gleich vier Center auf. Auf Rang eins thront mit John Bryant (23,1) ein zweifacher Liga-MVP, der dieser Tage in Gießen seinen besten Basketball aufs Parkett bringt. „Ich würde nicht sagen, dass ich auf meinem individuellen Höhepunkt angekommen bin, sondern habe in einigen Bereich noch Luft nach oben“, sagt der 30-Jährige. „Da meine Leistung auf dem Feld nicht auf purer Athletik, sondern vielmehr auf Erfahrung und Spielverständnis basiert, werde ich in den kommenden Jahren hoffentlich eher noch zulegen können.“ Dem klassischen Verständnis nach stellen seine durchschnittlichen 17,4 Punkte und 10,6 Rebounds das einzige gemittelte „Double-Double“ der easyCredit BBL dar. Bryant: „Das hängt zu großen Teilen damit zusammen, dass Coach Freyer uns hier viele Freiheiten lässt – das war bei meinen alten Clubs nicht immer der Fall.“

Gleichzeitig geht es darum, sich dem defensiven Gameplan der Konkurrenz anzupassen und diese mit den eigenen Fähigkeiten auszuhebeln. Davon kann Julian Gamble ein Lied singen, denn seit seiner Vertragsverlängerung im vergangenen Sommer wird der Center der Telekom Baskets Bonn von gegnerischen Chefstrategen anders – lies: intensiver – beäugt. „Auf der einen Seite ist es cool, wenn sich die Coaches extra Gedanken über dich machen und dir besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Auf der anderen Seite macht es meinen Job nicht gerade einfacher, aber das sehe ich als Zeichen des Respekts und als Herausforderung“, so der Linkshänder, und fügt mit einem Augenzwinkern an: „Dieses Jahr werde ich viel öfter im Lowpost gedoppelt, wodurch sich zwangsweise mein Entscheidungsverhalten verändert, verbessert hat. Gefühlt habe ich diese Saison mehr Assists gespielt als in all meinen Profijahren zuvor zusammen.“

So gesellen sich in der laufenden Saison bei Gamble zu seinen durchschnittlich erzielten 12,8 Zählern und 6,5 abgegriffenen „Boards“ auch noch 2,2 direkte Korbvorlagen (2016/2017: 1,7 ApS). Noch deutlicher wird der Unterschied bei den totalen Zahlen: In der vergangenen Spielzeit hatte der Amerikaner nach den Playoffs in Summe 63 Assists auf dem Konto, nach diesem Jahr absolvierten 28 Partien steht er bereits bei 62 Assists. „Die Verteidigung fokussiert sich mehr auf mich, das versuchen wir zu Gunsten unserer Schützen auszunutzen.“ Zum Vergleich: In seiner Premierensaison auf dem Hardtberg kam Gamble in nur einem einzigen Spiel auf seinen Bestwert von vier Assists, 2017/2018 hat er bereits in vier Partien gleich sechs „Dimes“ an den Mann gebracht.

Am kommenden Samstag (Tipoff: 18:00 Uhr, live bei Telekom Sport) prallen die beiden Pivoten unmittelbar aufeinander. Ein ungleiches, und gerade deswegen umso mehr mit Spannung erwartetes Duell. Aber ein Aufeinandertreffen, dem sowohl Gamble als auch Bryant entgegenfiebert. „Julian gibt dir als Gegenspieler etwas, das du in der BBL nicht alle Tage siehst. Als Linkshänder sind seine Bewegung nur wenig mit dem zu vergleichen, was die anderen Big Man aufs Parkett bringen“, hält der 46ers-Center fest. „Natürlich liest du seinen Scouting Report, aber im Spiel selbst kehrst du oft zu deinen Instinkten zurück. Gegen ihn musst du schnell auf den Beinen sein, denn er kann das Feld mit viel Tempo rauf und runter gehen, von seinen langen beim Offensiv-Rebound mal ganz abgesehen.“ Auch Gamble weiß genau was auf ihn zukommt und hat sich schon, ohne zu viel verraten zu wollen, einen Plan zurecht gelegt. „John ist definitiv ein Großer mit guten Skills im Lowpost, der aber auch einen sehr ordentlichen Schuss hat“, weiß der König. „Der Schlüssel ist, ihn zum physischen Spiel zu zwingen, in immer wieder zu attackieren und defensiv so weit weg vom Korb wie möglich zu halten.“

Die taktische Herangehensweise ist jeweils, den Gegenüber aus der Komfortzone zu bugsieren. Wie gut dies gelingt, wird sich im Nachgang an den individuellen Trefferquoten, vielleicht sogar am Endergebnis der Partie ablesen lassen. „Du wirst ihn nicht komplett vom Scoring abhalten können, aber ihm den Abschluss so schwer wie möglich zu machen kann entscheidend sein“, konstatiert Gamble. „Center machen naturgemäß einen Großteil ihrer Zähler in Brettnähe. Wenn wir John unter 50 Prozent aus dem Zweipunkt-Bereich halten, ist uns viel geholfen.“ Der wiederum weiß, was auf ihn zukommt und hat in der Vergangenheit gleich mehrfach bewiesen, dass er nicht nur in der Zone eine Gefahr darstellt. Auch wenn der Dreier diese Saison nicht recht fallen will (24,3 Prozent Trefferquote), hält der 2,11 Meter-Mann fleißig von jenseits des Perimeters drauf. Von allen BBL-Centern werden seine 70 Dreierversuche lediglich durch Kresimir Loncar (Würzburg, 84) getoppt. „Ich kann mir gut vorstellen, dass ich das Bild des Centers, der früher nur mit dem Rücken zum Korb agiert hat, ein Stück weit verändert habe“, lacht Bryant. „Heute gibt es viele  Big Men, die nach einem Block für den kleinen Spieler nicht zum Korb abrollen, sondern an der Dreierlinie bleiben, ihren Verteidiger binden und so Platz für Drives schaffen.“

Bei aller sportlichen Herausforderung und dem gegenseitigen Respekt herrscht eine spürbare Vorfreude auf das anstehende Kräftemessen – auch wenn Gamble und Bryant sich zuvor erst ein einziges Mal auf dem Parkett begegnet sind. Im Hinspiel behielt Bonn mit 83:78 die Oberhand, was maßgeblich an den 22 Punkten und 13 Rebounds des „Königs“ lag. Gamble: „Es macht Spaß gegen ihn zu spielen, weil du dich zwischendurch auch mal mit ihm unterhalten kannst. Er ist keiner dieser Typen, die dich keines Blickes würdigen oder den wilden Trash Talk auspacken.“ Der eine ist Linkshänder, der andere Rechtshänder. Der eine präferiert Spinmoves zur Grundlinie, der andere Würfe aus dem Pick-and-Pop heraus. Doch in einem sind sie sich gleich: Sie geben ihrem Team eine Dimension, die mitentscheidend über Sieg oder Niederlage ist. „Und wir sind Väter … allein das zeichnet uns schon als coole Typen aus“, benennt Gamble den ultimativen X-Faktor. Ob dieser jedoch spielentscheidend ist, lässt sich statistisch nicht belegen.


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