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Feature: Comeback-Kids

WALTER Tigers Tübingen vs. Telekom Baskets Bonn oder: Das Treffen der Wiedergenesenen

Wenn die Telekom Baskets Bonn am kommenden Donnerstag (6.1.2011, 17:00 Uhr) bei den WALTER Tigers Tübingen antreten, dann sind auf beiden Seiten nicht nur die basketballerischen Fähigkeiten aller beteiligten Akteure gefragt. Auch die Knochen und Bänder diverser Spieler werden auf die Probe gestellt. Denn mit Patrick Flomo, Johannes Herber (je zwei Bänderrisse) sowie Nicolai Simon (Riss in der Bandscheibe) stehen drei Profis auf dem Parkett, die ihre persönliche Krankenakte am liebsten ein für alle Mal geschlossen wissen wollen.

 

Den seit 2006 in Diensten der Telekom Baskets stehenden Patrick Flomo trifft es erstmals gegen Ende seiner ersten Saison auf dem Hardtberg wie ein Hammerschlag. Der athletische Innenspieler hatte sich nach monströsen Leistungen in der 2. Liga für Herten (17,0 PpS, 10,0 RpS) einigermaßen in der obersten Spielklasse akklimatisiert und war auf dem besten Wege, sich als Energizer von der Bank kommend zu etablieren, da riss ihm im April 2007 das Kreuzband. Die zuvor soliden 5,4 Punkte und 4,4 Rebounds pro Spiel waren plötzlich wertlos, unbedeutend, denn Flomo konnte seinem Team nicht mehr helfen. Stattdessen standen eine Operation und monatelange Rehabilitationsmaßnahmen auf dem Programm. Zum Glück im Unglück fällt ein Großteil der Arbeit am Comeback in die Sommermonate, wo der Spielbetrieb ohnehin ruht. Nach langwierigem Aufbau der stabilisierenden Muskulatur feiert Flomo noch vor dem Jahreswechsel seine vielgefeierte Rückkehr auf dem Bundesliga-Parkett. Auch dank der Energie des undersized Centers geht es für die Baskets bis ins Finale das Knie trägt den gebürtigen Liberianer in 34 Einsätzen zu 3,4 PpS und 2,7 RpS.

 

Vollends genesen mutiert Flomo 2008/09 zum fleischgewordenen Inbegriff des Bonner Kampfgeistes. In 44 Spielen bringt er durchschnittlich 4,2 Punkte und 2,9 Rebounds zu Papier, doch in den Köpfen der Fans und gegnerischen Spieler bleiben seine Flugeinlagen und defensiven Gewaltakte in Form von brachialen Blocks hängen. Sein bestes Spiel im Dress der Baskets ist zugleich das aus Bonner Sicht tragischste. Am 25.06.2009 beim fünften Finalspiel gegen Oldenburg gelingt Flomo mit 18 Punkten und zehn Rebounds ein Double-Double. Wie der Zufall es will, ist es abermals der launische April, der Flomo übel mitspielt, als er im Frühjahr 2010 das zweite Mal einen Kreuzbandriss erleidet. Ohne den defensiven Anker der zweiten Fünf verliert Bonn in der ersten Playoff-Runde gegen den späteren Meister Brose Baskets glatt mit 0:3. Der 2,04m-Athlet bläst keinen Moment Trübsal, sondern feuert seine Mitspieler mit Bandage und Krücken von der Seitenauslinie an.

 

Gemeinsam mit Assistenz-Trainer Peter Günschel durchläuft Flomo ein umfangreiches, intensives, aber vor allem zeitaufwändiges Aufbauprogramm. Ob individuelles Krafttraining in der Baskets Sportfabrik des Bonner Telekom Dome oder Koordinations-Übungen während der Mannschafts-Einheiten, der Familienvater schwitzt mehr als jeder andere Bonner Akteur. Plus: Er lernt das Team kennen. Kann von der Bank aus in Ruhe studieren, wie sich seine Mitspieler bewegen, wo sie ihre Sweet Spots haben, wie sie in der Defensive rotieren. All diese visuellen Informationen werden in der Flomo'schen Datenbank abgelegt und weiterverarbeitet.

 

Bei seinem Debüt vor heimischem Publikum im vergangenen Dezember wird er von den Bonner Fans mit stehenden Ovationen begrüßt. Er dankt es ihnen in der nächsten Aktion mit ordentlicher Verteidigung und einem Defensiv-Rebound, ehe er das Spielgerät im darauffolgenden Angriff in die erste Reihe blockt. Die Menge tobt, und an Flomos schelmischen Grinsen lässt sich ablesen, dass er die Freude am Spiel trotz der langen Wartezeit nicht verloren hat.

 

Lange warten musste auch Tübingens Johannes Herber, der ebenfalls zwei Kreuzbandrisse hinter sich hat. Kurz nach Beginn der Saison 2007/08 ist es das linke Knie, welches den Dienst quittiert und den Nationalspieler zu einer Zwangspause zwingt. In Berlin wird er nach allen Regeln der medizinischen Kunst betreut, zusammengeflickt und auf ein erfolgreiches Comeback vorbereitet. Unter ALBA-Cheftrainer Luka Pavicevic fallen für den variablen Wingman allerdings nur wenig Minuten ab, woraufhin er im Sommer 2009 seinen Vertrag mit den Hauptstädtern auflöst, um sich anderweitig umzusehen. Nur eine Woche später versagt das linke Knie während eines Nationalmannschaftslehrgangs in Leverkusen erneut. Der erste Kreuzbandriss war nicht so schlimm, der zweite war dann schon ein ziemlicher Rückschlag, lässt sich der mittlerweile 27-Jährige später zitieren. Nun in Diensten der Tigers aus Tübingen scheint es glücklicherweise für Herber aufwärts zu gehen. Im System von Coach Igor Perovic nimmt der Deutsche eine zentrale Rolle ein, die nicht nur an seinen Statistiken von 5,9 PpS und 1,4 ApS (beides Karrierebestwerte) zum Ausdruck kommt, sondern sich maßgeblich an seinen Führungsqualitäten ablesen lässt.

 

Herber ist im Tübinger Konstrukt nicht der einzige genesene Rekonvaleszent, der die Freude am Basketball (wieder-)entdeckt hat. Auch Aufbau Nicolai Simon, der gemeinsam mit Nationalspieler Lucca Staiger im zarten Alter von 16 Jahren einst die Junge Liga aufmischte, hat eine Krankenakte, die ein unschönes Kapitel beinhaltet. Bei dem Aufbau wurde 2007 ein Riss in der Bandscheibe prognostiziert, nachdem er lange Zeit über Rückenschmerzen klagte. Nach fast einem Jahr Pause ging Simon zurück nach Ehingen, um dort die ideale sportliche Situation vorzufinden, um schnellstmöglich zurück auf sein altes Niveau zu kommen. Der Plan geht voll auf.

 

Für die "Steeples" legt 1,90m-Guard 2008/09 nicht nur 8,6 Punkte pro Spiel auf, sondern verteilt traumwandlerische 5,1 Korbvorlagen. Das reicht den Paderborn Baskets, um den Genesenen nach Ostwestfalen, und damit zurück in die Beko BBL zu holen. Der Körper des heute 24-Jährigen hält den Strapazen des Oberhauses stand, was weitaus mehr wiegt und den sportlichen Abstieg mit Paderborn in den Schatten stellt. Simon kann spielen, kann seine Wirbelsäule normal belasten, kann ein Team führen. Qualitäten, die Tübingen von einem Backup für den gesetzten Starter Branislav Ratkovica sucht und der Deutsche den Tigers bringen soll. Bis dato erfüllt er seine Aufgabe gut, was sich maßgeblich an den Minuten Ratkovicas ablesen lässt: Der beste Assistgeber der Liga braucht für seine durchschnittlich 7,1 Vorlagen nur knappe 30 Minuten.

 

Wenn es am Donnerstag in Tübingen zum Duell zwischen den ortsansässigen Tigers und den Telekom Baskets kommt, dann geht es dabei um mehr als eine sportliche Herausforderung. Dann geht es auch darum, anzuerkennen, dass drei Akteure einen langen und beschwerlichen Weg gehen mussten, um überhaupt weder auf diesem Niveau agieren zu können.

 


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