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Kenne deinen Feind: Per Günther

Geboren in Gießen, aufgewachsen in Hagen, zum Nationalspieler gereift in Ulm. Doch seine Geschichte beginnt in keiner dieser drei Städte. Sie beginnt im beschaulichen Paderborn. Im Dezember 2003 bei den U20-Tryouts des Deutschen Basketball Bundes. Und das, obwohl Per Günther zu diesem Zeitpunkt weder in der Halle, noch auf dem Radar der breiten Öffentlichkeit war.

Spielt aktuell seine neunte Saison für Ulm: Per Günther (Foto: Sebastian Dorbrietz)

In der Halle am Maspernplatz wird einiges geboten. 48 Youngster der Jahrgänge 1984 bis 1986 präsentieren sich zwei Tage lang den kritischen Blicken der anwesenden Nationaltrainer, diverser Vereinsvertreter, auch wenige international Vielfliegermeilen sammelnde Scouts sind anwesend. Auch „Basketball – Das Magazin“ schickt seinerzeit zwei Schreiber gen Ostwestfalen, um den Stand der Dinge des deutschen Jugendbasketballs unter die Lupe zu nehmen. Der sorgenreiche Titel der später anstehenden Geschichte während einer Phase, in welcher die Bundesliga aufgrund aufgehobener Ausländerbeschränkung maßgeblich durch Amerikaner und Ostblock-Baller geprägt ist: Verlorene Generation oder Rookie-Allstars?!

Es fällt auf, dass besonders die großen Positionen einiges zu bieten haben. Jan-Christian Both (2,10m, Göttingen), Vadim Fedotov (2,04, Rhöndorf), Jermain Raffington (2,05m, Ehingen) Leo Niebuhr (2,03m, Braunschweig), Cem Dinc (2,08, Hamm) … doch einer stiehlt ihnen allen die Show. Der Knirps bringt gerade einmal 1,80 Meter unter die Messlatte, doch die fehlende Länge macht er mit Spielwitz, einem großen Herzen und dem wachen Auge für den Nebenmann locker wett. Philip Günther, Aufbau bei der TGH Wetter in der Regionalliga liefert das gesamte Paket für jeden, der ihm bei seiner Regiearbeit auf der Eins zusieht. Coaches schätzen sein starkes Ballhandling und die Übersicht, Scouts schätzen seinen Kampfgeist und das schwer zu trainierende Wettkampf-Gen, die Schreiberlinge lieben seine Unberechenbarkeit und seinen „Funk“. Philip schafft den Sprung den Sprung in die Startformation der Nord-Auswahl für das Rookie ALLSTAR Game – mit Leichtigkeit. Doch die wertvollste Erkenntnis dieses Wochenendes an der Pader über Günther ist keine Statistik, kein Video oder eine abgegriffene Telefonnummer, sondern die scheinbar nebensächliche Information, dass er einen kleinen Bruder namens Per hat.

Comin‘ from afar,
reachin‘ for the stars

Dreieinhalb Jahre später ist aus der einstigen Bestandaufnahme ein Blick in die Zukunft geworden. Was Philip in Paderborn aufs Parkett brachte, spiegelt sich in den Auftritten des kleinen Per, der 2006/2007 in der NBBL-Premierensaison die Konkurrenz in Atem hält. Der Point Guard der Phoenix Hagen Juniors markiert im Schnitt starke 19,5 Punkte pro Partie, führt seine Farben souverän durch die reguläre Spielzeit und in die Playoffs. Die Basketball Akademie Brandenburg, Paderborn und Bramfeld sind zwar Herausforderungen, bringen die jungen „Feuervögel“ jedoch nicht zu Fall.

Im TOP4 – wie es der Zufall will, in Paderborn ausgetragen – treffen die Juniors im Halbfinale auf den hochfavorisierten TSV Tröster Breitengüßbach um Sajmen Hauer, Tim Ohlbrecht sowie Karsten Tadda. Die Franken wirken überrascht vom rotzfrechen Auftreten der NRW-Truppe, die von Günther angetrieben einen 74:69-Sieg erringt. Der Hagener Spielgestalter spielt die vollen 40 Minuten durch, avanciert mit 21 Zählern zum Topscorer der Partie und bestraft Güßbachs taktische Fouls in der Schlussphase eiskalt (9/10 Freiwürfe). Der Kraftakt macht im Finale gegen Urspring (61:82) bemerkbar, wo ein gewisser Christian Standhardinger (heute RASTA Vechta) mit 37 Punkten nicht zu halten ist. Günther gibt zwar wieder den besten Schützen der Juniors (21 Punkte), doch zeigt die Partie die eine Schwachstelle des damals 19-Jährigen auf, welche sich die Verteidigung durch genügend Abstand zu Nutze macht – im Endspiel findet nur einer von sechs Dreiern sein Ziel (16,7 Prozent Trefferquote).

Some got hopes and dreams,
we got ways and means

In der ProA reißt Günther bis 2008 schon als junger Spund regelmäßig amtliche Minuten ab, was seiner Entwicklung sichtlich gut tut. Auch der Dreier fällt in seinem letzten Jahr in der „Jungen Liga“ halbwegs stabil, wenngleich Günther noch weit entfernt davon ist, einen Ruf als veritabler Schütze zu erlangen (2007/2008: 35,7 Prozent Dreier). Das bleibt auch nach der Unterschrift in Ulm so, wo Günther früh ins kalte BBL-Wasser geworfen wird, anfänglich noch Lehrgeld bezahlt, aber gleichzeitig auch durch seine Kaltschnäuzigkeit auf sich aufmerksam macht.

Erst 2011/2012, als er in akribischer Individualarbeit daran gefeilt hat, seine Wurfbewegung umzustellen, schnellen die Zahlen von „Downtown“ in die Höhe. In den neun Playoff-Partien markiert Günther durchschnittlich beachtliche 14,7 Punkte bei 63,2 Prozent Trefferquote aus der Distanz, die klare 0:3-Pleite im Finale gegen Bamberg verhindert dies jedoch nicht. Dennoch, der Point Guard ist endgültig in der Liga angekommen, sich dabei seinem Stil treu geblieben und wird dafür von den Fans gefeiert – was zur Folge hat, dass Günther von dort an fünf Mal in Serie den „Pascal Roller Award“ für den beliebtesten Spieler absahnt.

But it’s all good as long as it’s understood,
it’s all together now in the hood

In den vier Spielzeiten zwischen 2012 und 2016 geht es für die Spatzen jedes Jahr in die Playoffs. Jedes Jahr mit Günther als immer dominanter auftretender Kapitän auf der Brücke. Jedes Jahr mit einem immer mehr zu Routinier reifenden Leader, dessen Stärken durch kaum eine Verteidigung in der Bundesliga auszuhebeln sind. Den bisherigen Höhepunkt seines Schaffens erreicht er in der abgelaufenen Saison, als die Donaustädter nach verkorkstem Saisonstart ein fulminantes Finish hinlegen und bis in die Finalserie – wieder gegen Bamberg – pflügen. Günther, der mittlerweile stabil über 40 Prozent seiner Distanzwürfe versenkt, weiß die gegen ihn gern aggressiv angesetzte Defense mit Pick’n’Rolls sowie Pässen (2015/2016: 5,3 ApS) auszuhebeln.

In der Gegenwart befindet sich Ulm auf dem Weg, die Annalen der Basketball Bundesliga umzuschreiben. Der für unknackbar gehaltene Rekord von Bayer Leverkusen von 25 Siegen in Folge (1969/1970) kann von den „Spatzen“ in Bonn eingestellt werden. Das sogar, obwohl Per Günther diese Saison verletzungsbedingt fünf Spiele aussetzen musste und seit seiner Rückkehr noch nicht ganz an seine alte Form anknüpfen konnte. Kaum auszudenken, wie gefährlich diese Ulmer Mannschaft tatsächlich sein kann – vor allem mit Blick auf die Playoffs – wenn der heute 29-Jährige wieder bei vollen Kräften ist. Denn so schön der naheliegende Blick auf Leverkusens Rekord auch sein mag, es ist der nach wie vor fehlende Titel auf nationaler Ebene, nach dem Günther langfristig trachtet. Um es mit seinen Worten zu sagen: „Entweder ich gewinne das Ding im orangen Trikot – oder ich gewinne das Ding nie!“

 

 


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