SucheSuche

Lok auf 2 Beinen

Kenne deinen Feind: Niels Giffey

Am Sonntag, den 5.2.1017, steht sie wieder an. Frei nach dem Motto: Mama ist die Beste! Wenn Bonn und Berlin in der „Mutter aller Spiele“ aufeinandertreffen, ist dies nicht nur ein Kräftevergleich mit reichlich Historie, sondern auch der Nährboden für neue Geschichten, von denen zukünftig noch gesprochen werden soll. Seit mittlerweile drei Jahren Teil jener Rivalität ist Niels Giffey, der mit einem an Variabilität kaum zu übertreffenden Werkzeugkoffer zum absoluten Titelhamster gereift ist – und damit bereits früh anfing.

Amtierender Pokalsieger mit den "Albatrossen": Niels Giffey (Foto: Sebastian Dorbrietz)

Es gibt diese Spieler, bei denen ist auf den ersten Blick klar, wohin die Reise gehen kann. Selbst in jungen Jahren. Wenn der Körper noch lange nicht ausgereift ist. Die basketballerischen Fähigkeiten noch den nötigen Feinschliff brauchen. Erfahrung ein Fremdwort darstellt. Dann sind es Dinge wie die richtige Körpersprache oder Einstellung, die einen Youngster von Gleichaltrigen unterscheiden. Gerade deshalb ist die Nachwuchs Basketball Bundesliga (NBBL) ein Segen für alle Freunde des gepflegten Jugend-Basketballs. Auf dieser Plattform machte in der Spielzeit 2007/2008 ein Jungspund auf sich aufmerksam, ohne dabei übermäßig astronomische Statistiken aufzulegen. Es benötigte den oftmals unterschätzten „Eye Test“ vor Ort oder ein Telefonat mit Coach Henrik Rödl, um wirklich zu verstehen wie speziell dieser Niels Giffey ist.

Schon in der Saison 2006/2007 lief Giffey im zarten Alter von 15 Jahren, damals noch für die Internationale Berliner Basketball Akademie, in der NBBL auf. Mit durchschnittlich 12,7 Punkten und 7,0 Rebounds pro Begegnung deutete er früh an, über welch Potenzial er verfügte – und wurde dafür mit dem Award für den „Rookie des Jahres“ ausgezeichnet. Nach seinem folgenden Wechsel ins Nachwuchsprogramm von ALBA Berlin bestand die große Frage darin, wie Giffey sich in einem breit aufgestellten Kader würde durchsetzen können. Die Antwort lieferte der schlaksige Flügel auf eine Art, wie sie aus heutiger Sicht natürlicher nicht hätte ausfallen können. Der Blondschopf sucht sich keine zu füllenden Lücken, er findet sie einfach. Sei es in der Verteidigung (1,4 Steals), im Angriff (10,9 Punkte) oder bei der Arbeit am Brett (4,4 Rebounds). Es ist dieses angeborene, nur schwer zu erlernende Gefühl für das Spiel. Für das, was das Team gerade braucht. Für den richtigen Spot auf dem Feld.

Bin 'n gehetzter Fuchs, ständig auf Draht
Es is wie ne Sucht, ich brauchs jeden Tag


Als Giffey bei den „Albatrossen“ aufschlägt, läutet dies eine vollkommen neue Ära ein, welche die Hauptstädter schlagartig auf der Landkarte Basketballdeutschlands aufblitzen lässt. Mit dem Forward im Kader wird Berlin zum Dauergast im NBBL TOP4. Drei Jahre in Folge greifen Giffey und Co. nach der U19-Krone, stehen dabei nicht nur jeweils in der Endrunde, sondern faktisch im Endspiel. Anno 2008 heißt es allerdings noch, gegen den amtierenden Meister Urspring im Finale Lehrgeld zu zahlen (76:84), da unter anderem ein in der ersten Hälfte fast unsichtbarer Christian Standhardinger nach dem Seitenwechsel 19 seiner 23 Punkte auflegt.

Im Jahr darauf pflügt sich ALBA in schierer Dominanz durch die Liga, lässt der Konkurrenz in der Division Nordost keine Chance und gilt als einer der Mitfavoriten auf den Titel, zumal das TOP4 vor eigenem Publikum aufgetragen wird. Im Halbfinale wird Breitengüßbach mit 70:48 quasi beiläufig aus dem Weg geräumt, Giffey gerät in den knapp 24 Minuten auf dem Feld kaum ins Schwitzen und beendet die Partie mit 18 Zählern – wobei er sechs seiner sieben Schüsse aus dem Feld und alle Freiwürfe (4/4) verwandelt. Das Endspiel verläuft über drei Viertel ganz und gar nicht nach dem Geschmack der Hausherren. Paderborns überragende Guard-Zwillinge Lars und Ole Wendt setzen den Hauptstädtern dermaßen zu, dass die Ostwestfalen vor dem Schlussakt wie der sichere NBBL-Champ 2009 aussehen. Auftritt Niels Giffey: 16 seiner 32 Punkte markiert der Flügel im letzten Abschnitt – mehr als die gesamte Paderborner Mannschaft (14) – und führt seine Farben damit zum fast nicht mehr für möglich gehaltenen 75:70-Erfolg. Teamkollegen und Zuschauer wissen ganz genau, bei wem sie sich für die Sause in der Sömmeringhalle zu bedanken haben und skandieren anstatt „MVP“ spontan „MVG“ – Most Valuable Giffey!

Nach saisonübergreifend 39 Siegen in Folge steht Berlin am Ende der Spielzeit 2009/2010 vor der Titelverteidigung, scheitert jedoch im Finale an Urspring (50:63). Dennoch ist der „Dreierpack“ an TOP4-Teilnahmen aus der Gegenwart betrachtet die Basis, auf welcher ALBAs weit gefasstes Engagement im Jugendbereich – mitsamt Leistungsbereich in der Spitze – fußt. Auch wenn Giffey letztlich seine Juniorenkarriere mit einer Niederlage beendet, so hat er mehr als nachdrücklich bewiesen, dass er eine ganze Mannschaft mitreißen kann.

Die Pumpe pumpt, ich hab wunde Lungen
wie 'n junger Hund, werd nie satt


Die Kunde von dem hochaufgeschossenen Deutschen ist bis nach Übersee geschwappt, so dass es im Sommer 2010 an die University of Connecticut geht. Die Huskies sind eine Marke im College-Basketball, dies allerdings vornehmlich wegen des im weiblichen Bereich dominanter als Christian Grey auftretenden Teams, welches bis heute elf NCAA-Meisterschaften gewonnen hat. Die Herren der Schöpfung agieren so zwar im ungewohnten Schatten der Ladies, haben diese Rolle im Laufe der Jahre durchaus zu schätzen (und nutzen) gelernt. Giffey hingegen kämpft bei UConn seinen ganz eigenen Kampf. Gegen die Umgewöhnung auf amerikanischen Basketball, gegen eine kleinere Rolle, gegen physisch überlegene Athleten. Keine zehn Minuten pro Partie sieht der Berliner, und doch erarbeitet er sich das Vertrauen des Trainerstabs. Wie groß der Glaube an ihn ist, wird auf der ganz großen Bühne des Final Four ersichtlich. „Unsere Strategie war, Butler in der zweiten Hälfte über unseren Willen niederzuringen“, wird Coach Jim Calhoun später sagen. Und sieht dies in sechs wichtigen Rebounds des Deutschen bestätigt, die maßgeblich zum 53:41-Erfolg über die Bulldogs beitragen.

Wie die College-Karriere des Niels Giffey begann, so sollte sie 2013/2014 auch aufhören. Nach Topscorer Shabazz Napier (22 Punkte) steht der Senior im Endspiel gegen Kentucky (60:54) von allen Huskies am längsten auf dem Parkett und nutzt die 37 Minuten Einsatzzeit zu zehn Zählern sowie fünf Rebounds – ohne sich einen einzigen Ballverlust zu leisten. Es ist das perfekte Ende einer College-Karriere, nach der gefühlt ohnehin schon klar ist, wohin die Reise gehen wird. Daheim ist’s doch am schönsten...

Drei Türchecker fliegen zur Seite,
weil ich in den Schuppen wie auf Schienen einreite


Im Juli 2014 verkündet ALBA Berlin verkündet ALBA Berlin die Rückkehr des 2,00 Meter-Mannes an die Spree. „Mich in Deutschland und in Europa auf höchstem Niveau weiterentwickeln zu können, ist eine tolle Chance“, sagt Giffey bei seiner Vertragsunterzeichnung, die ihn für drei Jahre an den Hauptstadt-Club bindet. Dass er sich in der Bundesliga wird zurechtfinden können, steht vollkommen außer Frage. Das Stichwort lautet: Effizienz. Bei überschaubarer Spielzeit (17:00 Minuten) kommt erst in seiner Premierensaison als Profi auf 6,8 Punkte und 2,7 Rebounds, wobei er beachtliche 45 Prozent seiner Dreier versenkt.

Der immer noch schmale Körper trägt mittlerweile ein gesundes Maß an Muskelmasse. Die langen Arme wuchern einerseits in des Gegners Passwegen, fischen aber auch regelmäßig den Big Men die Rebounds weg. Giffey ist ligaweit einer der ganz wenigen Akteure, die sowohl die Position des Small Forward als auch Power Forward bekleiden können. Wer einerseits den Ball aufsetzen und den Korb attackieren kann, den Dreier im Gepäck hat (2016/2017: 39,5 Prozent Trefferquote) und auch bei einer kleinen Berliner Aufstellung auch im Lowpost besteht (64,8 Prozent Zweierquote), darf als fleischgewordene Allzweckwaffe bezeichnet werden. Durchschnittswerte von 7,9 Punkten und 4,0 Rebounds als auch 1,2 Assists sind allesamt Karrierebestwerte.

Doch es sind diese Momente, in denen Giffey den Schalter umlegen und schlichtweg abliefern kann, die ihn so besonders machen. Als der verletzungsgeplagte Berliner Kader jemanden braucht, der offensiv eine Schippe drauflegt, markiert der 25-Jährige beim 79:73-Auswärtssieg in Ludwigsburg 18 Punkte (3/4 Dreier). Gegen Bayreuth (9) und Oldenburg (10) sticht er durch seine Arbeit beim Rebound hervor. Nun, da der ALBA-Kader komplett ist, sind die statistischen Ausreißer nach oben nicht mehr so sehr von Nöten, wie bei einer verkürzten Rotation. Doch es besteht keinerlei Zweifel daran, dass Niels Giffey wieder mit Volldampf vorangehen wird, wenn es die Situation von ihm verlangt – vielleicht sogar schon bei der „Mutter aller Spiele“?!

 


Druckansicht zum Seitenanfang