„Die Hausaufgaben penibel gemacht“

Sporthilfe-Interview: Denise Schindler

Speed is her friend: Denise Schindler (Foto: Martin Hofmann)

Der Kampf gegen die Uhr ist extremst nervenaufreibend und schweißtreibend. Davon können die Telekom Baskets, denen immerhin nur 24 Sekunden pro Angriff zur Verfügung stehen, ein Lied singen. Auch Denise Schindler, ihres Zeichens amtierende Bahnrad-Weltmeisterin über 3.000 Meter und passionierte Zeitfahrerin, hat bei ihren Rennen stets die Zeit im Blick. Am kommenden Sonntag (8.4. vs. ALBA Berlin) stattet die 32-Jährige dem Telekom Dome im Rahmen des Sporthilfe-Aktionstages einen Besuch ab.

Denise, ob auf dem Rennrad oder beim Basketball, ob draußen oder drinnen: Wird die mentale Komponente im Spitzensport immer noch unterschätzt?

Denise Schindler: „Der Kopf ist immer das Wichtigste. Du kannst noch so tolle Anlagen oder Trainingsmöglichkeiten haben, wenn du keine Lust hast oder nicht bereit bist, wird es ganz schwer wirklich das Beste aus sich herauszuholen. Wer keinen Hunger auf Leistung und Spaß an der Sache hat, bleibt nicht lange dabei.“

Apropos: Spaß. Die Rückkehr nach Rio de Janeiro war für dich sicher kein Zuckerschlecken.

„In der Tat war mein erster Gedanke, als der Austragungsort für die Weltmeisterschaft 2018 bekanntgegeben wurde, negativ behaftet. Immerhin war ich an genau diesem Ort zwei Jahre zuvor bei den Paralympics in der Quali ausgeschieden – das hat mich lange gewurmt. Entsprechend war das Velodrom von Rio in meiner Wahrnehmung getunkt mit diesen Erlebnissen, Doch das hat sich dann schnell gewandelt: Jetzt erst recht! Und genau so bin ich die Aufgabe dann auch angegangen.“

Wie schwer war es während der Vorbereitung und unmittelbar vor dem Rennen die Schatten der Vergangenheit auszublenden?

„Es ist mir gelungen, in alledem etwas Positives zu sehen. Wenn du nochmal eine solche Chance erhältst, ist das ein großer Bonus. Daraus habe ich die Motivation gezogen, mich für all die investierte Zeit und Energie selbst zu belohnen. Vor dem Rennen wusste ich, dass ich meine Hausaufgaben penibel gemacht hatte. Wenn du absolutes Selbstvertrauen in deine geleistete Arbeit hast, sind äußere Einflüsse so gut wie egal.“

Welchen Einfluss hat in diesem Zusammenhang das Wissen um taktische Vorlieben der Konkurrenz oder der Strecke bei Straßenrennen?

„Wir betreiben so viel Scouting wie eben möglich. Gerade auf der Straße ist es wichtig, Strecke und Gegner zu kennen. Es lassen sich Zeiten von bereits absolvierten Rennen dokumentieren und miteinander vergleichen, woraus sich viele Rückschlüsse ziehen lassen. Aber an getretene Wattzahlen in flachem Terrain oder in der Steigung kommen wir leider nicht ran. An alledem richtest du deine Taktik aus, musst aber immer noch in der Lage sein spontan umzudisponieren, wenn eine andere Fahrerin ihren Plan durchdrücken will. Was die Sache aber richtig spannend macht, ist die Dynamik, dass du dich manchmal – zumindest eine Zeit lang – mit Konkurrentinnen verbrüdern musst, um einen Teil des Feldes abzuhängen.
Beim Einzelzeitfahren indes beschränke ich mich ausschließlich auf mich und die Strecke. Früher habe ich beim Warmfahren auf der Rolle dauernd rechts und links geschaut, was die anderen machen. Auf deren Zeiten hast du aber null Einfluss, weswegen es umso mehr Sinn macht, sich auf die eigenen Abläufe zu fokussieren.“

Gibt es Routinen oder Marotten, die dir dabei helfen genau diesen Fokus zu finden?

(lacht) „Ja, aber das ist bei mir alles im Rahmen und weit weg vom paranoiden Aberglauben. Bei den Bahnrennen kommst du noch während des vor dir laufenden Rennens auf den sogenannten „heißen Stuhl“. Von da an hast du noch zehn Minuten, ehe dein Startschuss fällt. Bevor wir dann auf die Bahn gelassen werden und die Einführungsrunde hinter uns bringen, gebe ich meinem Betreuer einen Fistbump. Zu Beginn des 15-sekünden Countdowns haue ich mir selbst auf die Oberschenkel, wie zum Zeichen: Attacke! Dann habe ich die richtige Spannung, um Vollgas zu geben.“


Vita: Denise Schindler

Dass Denise Schindler einmal Weltmeisterin und mehrfache Medaillengewinnerin bei den Paralympics sein würde, hat in ihrer Kindheit und Jugend niemand ahnen können. Nachdem sie im Alter von nur zwei Jahren durch einen Unfall ihren rechten Unterschenkel verlor, machte ihr der Schulsport mehr zu schaffen, als dass er Spaß brachte. So lernte sie den Radsport erst nach dem Abitur und durch Zufall in ihrem Fitnessstudio kennen – und sie blieb dabei.
Gemeinsam mit einem amerikanischen Softwareunternehmen entwickelte die Behindertensportlerin des Jahres 2011 ein Verfahren, mit dem 3D-Prothesen hergestellt werden können und startete anschließend bei den Paralympics 2016 mit einer solchen. Neben dem Leistungssport ist Denise Schindler auch als Moderatorin und Motivationssprecherin tätig.