„In vielen Fällen weiß ich gar nicht, was um mich herum passiert“
Sporthilfe-Interview: Martin Fleig
Bei den Telekom Baskets spielt mit Josh Mayo der „Mann mit den rauchenden Colts“. Der amerikanische Guard hat in der laufenden Bundesliga-Saison bereits 77 Dreier verwandelt – niemand traf öfter. Falls Bonns Kapitän jedoch noch irgendwelche Tipps braucht, ist mit Martin Fleig am kommenden Sonntag (8.4. vs. ALBA Berlin) der richtige Ansprechpartner im Telekom Dome vor Ort. Der 28-Jährige ist immerhin erst vor drei Wochen paralympischer Biathlon-Goldmedaillengewinner über 15 Kilometer geworden.
Martin, unmittelbar nach deinem Sieg in Pyeongchang fehlten dir noch die Worte, um das Rennen zu beschreiben. Wie sieht das nun mit etwas Abstand aus?
Martin Fleig: „Seit meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich vor allem erst einmal körperlich entspannt und außer ein wenig Krafttraining nicht viel gemacht. Das hat mir die nötige Zeit gegeben, um viel und in Ruhe über den 16. März nachzudenken, alles noch einmal Revue passieren zu lassen. Es war einfach der perfekte Tag, an dem unheimlich viel für mich gepasst hat und idealerweise zusammengekommen ist. In der unmittelbaren Phase des Rennens war ich unheimlich fokussiert, wobei mir die äußeren Umstände zusätzlich in die Karten gespielt haben. An den Vortagen war es verhältnismäßig heiß, genau das war bei meinem Rennen nicht mehr der Fall. Wir hatten fast schon winterliches Wetter, zwischendurch fiel gar ein wenig Schnee – solche Bedingungen mag ich einfach.“
Rund um die Spiele war immer von dem „Männerfluch“ zu lesen, den du erfolgreich gebrochen hast. Inwiefern hat das vorab den auf Dir lastenden Druck noch erhöht?
„Tatsächlich gar nicht. Von diesem „Fluch“ wusste ich überhaupt nichts, bis mir jemand sagte, dass seit 2010 kein Deutscher eine paralympische Medaille gewinnen konnte – wobei die Formulierung meiner Meinung nach überzogen ist. Wenn die Konkurrenz extrem stark ist, musst du eben einen sehr guten Tag erwischen und alles richtig machen. Das gilt sowohl für den Männer- als auch den Frauenbereich, zeigt aber gleichzeitig auch wie saustark unsere Mädels seit Jahren sind.“
Basketballer behelfen sich mit Routinen und Ritualen, um beispielsweise beim Freiwurf den Puls runter zu bekommen. Gibt es bei dir etwas vergleichbares, wenn du am Schießstand bist?
(lacht) „Auf jeden Fall. Mit der Zeit haben sich meine Automatismen so extrem eingeschliffen, dass ich in vielen Fällen später gar nicht mehr weiß, was um mich herum passiert ist. Am Schießstand selbst ist der Kniff, den Kopf möglichst so frei zu kriegen, dass du an gar nichts denkst und die Schüsse wie automatisiert abfeuerst. Ganz wichtig ist aber im Vorfeld, sich auf der Strecke einen Punkt zu suchen, ab dem du verstärkt auf deine Atmung achtest, ab dem du deine Lunge ruhiger und tiefer mit Luft füllst. Da gilt es eine kritische Waage zu finden, damit du nicht zu viel Schwung verlierst. Das Ziel ist es, diesen Punkt durchs Training so nah wie möglich an den Schießstand heran zu rücken, damit du auf der Strecke noch mehr Gas geben kannst.“
Wie sehr spielt das Scouting des Terrains und der Konkurrenz in deiner Vorbereitung auf ein Rennen eine Rolle?
„Das ist definitiv ein wichtiger Faktor, den du berücksichtigen musst. Über die vielen Weltcup-Rennen lernst du die Stärken und Schwächen der anderen Athleten ganz gut kennen – und sie deine. Das gilt es auf dem Schirm zu haben, denn so kannst du dich auf einen eventuellen Konter besser einstellen oder selbst an gewissen Stellen attackieren und den Druck erhöhen. (lacht) Zu meinem Leidwesen sind meine härtesten Konkurrenten allesamt starke Techniker, die gerade in den steilen Passagen ordentlich Gas geben, während ich bei Abfahrten sicherlich noch Potenzial habe.“
Mit deinen 28 Lenzen gehörst du zu den „alten Hasen“, befindest Dich seit nunmehr zwölf Jahren in der Förderung der Deutschen Sporthilfe. Wie hat sich die Beziehung zwischen der Sporthilfe und Dir im Laufe dieser langen Zeit entwickelt?
„Ich erinnere mich, dass der erste Kontakt zur Sporthilfe seinerzeit über den Olympiastützpunkt in Freiburg kam. Gerade als junger Athlet gibt dir die gebotene Unterstützung und Hilfe bei der Karriereplanung einen enormen Schub. Die Bindung sowie der Austausch sind sehr intensiv, was vor allem den Sportlern dabei hilft, auch mal über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Es gibt spezielle Angebote für duale Bildungswege und einen sehr gut aufbereiteten Newsletter, durch den du mit Infos über die anderem im Programm befindlichen Sportler versorgt wirst.“
Vita: Martin Fleig
Seit Martin Fleig 17 Jahre alt ist, nimmt er internationalen Wettkämpfen und Weltcups teil. In den Jahren zwischen 2009 und 2013 beeindruckte Martin Fleig auf nationaler Ebene und gewann fast ununterbrochen die Deutschen Meisterschaften. Für die Paralympischen Spiele in Sotschi 2014 wurde extra ein neues Sportgerät aus dem 3D-Drucker angefertigt und individuell an ihn angepasst. Doch erst 2015 sollte es für eine Medaille bei einer Weltmeisterschaft reichen. Während er 2014 mit Platz acht bei den paralympischen Spielen noch einen Podiumsplatz verpasste, sicherte er sich 2018 in Pyeongchang die Goldmedaille. Dabei war er nur wenige Tage zuvor als Viertplatzierter in seiner Paradedisziplin (12,5 km Biathlon) ins Ziel eingelaufen. „In den ersten vier, fünf Stunden danach habe ich nur geheult. Wie ein Wasserfall. Ich wollte von niemandem etwas wissen“, erzählte er. „Irgendwann habe ich dann mit daheim gesprochen. Mit meiner Freundin, mit meinen Eltern. Sie haben mich gepuscht und aufgebaut. Und danach habe ich gedacht: So, jetzt erst recht!“ Mit einem perfekten Rennen, das Martin Fleig ohne Fehlschuss absolvierte, holte er als erster Mann seit 2010 eine Medaille bei paralympischen Spielen.