Jazz auf dem Parkett
Das Spiel der unerwarteten Wendungen / heute feiert die Liga ihren Festtag
Am Anfang war der Schnee. Der Schnee war an allem schuld. Weil ganz Springfield/Massachusetts im Dezember 1891 unter einer dichten Schneedecke lag, bekam Sportlehrer James Naismith den Auftrag, über eine neue Hallensportart nachzudenken. Football und Baseball in der Halle – das war viel zu risikoreich und schloss jede Menge Verletzungen ein.
Naismith war Arzt, Sportlehrer und ein kluger Mann. Das Gerangel am Boden störte ihn, er wollte sein Spiel in eine höhere Ebene verlegen. Dazu ließ er auf jeder Hallenseite einen Korb anbringen, den man nur mit einem kräftigen Sprung erreichen konnte. Der Hausmeister der YMCA-Sportschule schleppte dafür Pfirsichkörbe an. Naismith nannte das Spiel nach seiner wichtigsten Zutat: Basketball, also Korbball. Heute steht in Springfield die Naismith Memorial Hall ofFame, die Ruhmeshalle des Basketballs. Das ist nicht schlecht für das Image einer Stadt, in der Smith andWesson, der größte Hersteller von Handfeuerwaffen, seinen Hauptsitz hat. Basketball verbreitete sich sozusagen explosionsartig, und schon 1892 waren die Frauen dabei. Deutschland hinkte hinterher. Als der Basketball 1936 in Berlin olympisch wurde, bestaunte man ihn hierzulande noch als Kuriosität. Die Tennisplätze des Reichssportfeldes mussten für die Austragung des olympischen Turniers herhalten, beim Endspiel, das die Amerikaner mit 19:8 gegen Kanada gewannen, verwandelte Regen den Platz in einen einzigen Sumpf. Von der Faszination des Basketballs war nicht viel zu sehen. Da hat sich inzwischen manches geändert. „Wer sich einmal in Basketball verliebt hat, ist süchtig“, sagt Earvin „Magic“ Johnson, einer der legendären Spieler in der Geschichte des Basketballs. Und der nicht minder berühmte Michael Jordan hat versichert: „Wenn ich alt und grau bin, werde ich zwar nicht mehr Basketball spielen können, aber ich werde immer noch Liebe für das Spiel haben.“ Solchen Thesen werden die 2,61 Millionen Deutschen gerne zustimmen, die sich nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie „ganz besonders“ für Basketball interessieren; potenzielles Publikum sind jene 11,43 Millionen, deren Interesse sich in der Rubrik „auch, aber nicht so sehr“ einpegelt. Zwei Millionen Deutsche kennen Basketball überhaupt nicht. Das ist schade für sie, denn ihnen entgeht einiges. Nicht zu Unrecht taucht im Zusammenhang mit Basketball immer wieder der Begriff „magic“ auf, „Magic Basketball“ nennt der Autor Michael Rappe sein Kompendium über die Geschichte dieses Sports. Wie magisch es auf dem Spielfeld zugeht, lässt sich heute erleben. Die deutsche Basketball-Bundesliga feiert in der Arena von Nürnberg ihren Festtag, den „Allstar Day“, bei dem die besten nationalen und internationalen Spieler der Liga gegeneinander antreten. Aus Bonn ist Jared Jordan, der Spielmacher der Telekom Baskets, dabei, ein Mann mit einem unglaublich guten Auge für seine Mitspieler. Wer die Suche nach der Faszination des Basketballs mit Wikipedia beginnt, wird mit purer Sachlichkeit belohnt: „Basketball ist eine meist in der Halle betriebene Ballsportart, bei der zwei Mannschaften versuchen, den Spielball in die beiden in einer Höhe von 3,05 Metern an den gegenüberliegenden Schmalseiten des Spielfels angebrachten Körbe zu werfen.“ Das ist ungefähr so spannend, als wolle man eine Melodie dadurch erklären, dass es sich dabei um auf fünf Linien in verschiedener Höhe eingetragene Noten handele. Die Wirklichkeit liegt immer hinter den Begriffen. Der Schriftsteller Thomas Pletzinger, in seiner Jugend selbst aktiver Basketballspieler, hat sich in seinem Buch „Gentlemen, wir leben am Abgrund“ gleichsam auf die Suche nach dem Innersten der Sportart Basketball gemacht. Er zitiert Marco Baldi, den langjährigen Manager des Bundesligisten Alba Berlin: „Fußball“, sagt Baldi, „ist unangefochten. Handball ist Volksmusik. Eishockey ist Rock’n’Roll. Und Basketball ist Jazz.“ Das ist ein schöner Vergleich, denn Basketball ist eine vibrierende Sportart, sie lebt wie der Jazz aus dem Augenblick, gern auch aus der Improvisation, selbst wenn, wie beim Jazz, bestimmte Systeme vorgeschrieben scheinen, sie speist sich wie der Jazz aus dem Zusammenspiel, aus dem blitzschnellen Reagieren auf den Mitspieler. Und sie nimmt wie der Jazz gern unerwartete Wendungen. Basketball gilt als athletischer, rasanter und in besten Augenblicken auch artistischer Sport. Man hat ihn schnell gemacht, weil die Angriffszeit für ein Team auf dem Parkettboden immer nur 24 Sekunden dauert. Der Zuschauer ist wahrscheinlich deshalb von Basketball fasziniert, weil alle 24 Sekunden eine Entscheidung fällig ist, in einer kurzen Spanne muss etwas zu Ende gebracht werden. Falsche Entscheidungen sind beim Sport wie im Leben an der Tagesordnung – ein Basketball-Film von Spike Lee nennt sich „Spiel des Lebens“. Im Bonner Telekom Dome, beim Ritual der Mannschaftsvorstellung, spielen sie zu Beginn die ersten Takte aus Beethovens 5. Sinfonie. „So klopft das Schicksal an die Pforte“, soll Beethoven zu diesem sinfonischen Einstieg gesagt haben. In dieser Saison weiß man nicht so recht, was das Schicksal mit den Telekom Baskets vorhat. Die meisten von uns erleben Basketball von der Tribüne aus. „Wahrscheinlich“, sagt der österreichische Schriftsteller Robert Musil, „ist aber gerade das Zuschauen von einem Sitzplatz aus, während andere sich plagen, die wichtigste Definition der heutigen Sportsliebe.“ Diese Liebe muss beim Basketball eine Menge ertragen. Vor allem in den letzten 120 Sekunden der insgesamt 40 Minuten Spielzeit. Basketball steuert gern auf ein dramatisches Finale zu, stärker als andere Ballspielarten lehrt Basketball, dass nichts richtig verlässlich ist, dass nichts unmöglich ist, dass ein Rückstand von zehn und mehr Punkten nicht die Niederlage bedeutet, dass eine einzige Entscheidung oft alles ändern kann. Fußballfreunde erzählen gern von den berühmten zwei Minuten in Barcelona, als Bayern München 1999 das Endspiel der Champions League gegen Manchester United durch zwei Gegentore in der 92. und 93. Minute verlor. Solche dramatischen Wendungen kennt der Basketball weitaus häufiger. Und seine Fans, zumal solche in Bonn, halten gern Banner in die Höhe, auf denen steht: „We still believe.“ Die Basketball-Geschichte zeigt zur Genüge, dass es wichtig ist, auch in vermeintlich aussichtslosen Situationen nicht den Glauben an sich selbst zu verlieren. Von Michael Jordan ist dazu Klares zu hören: „Angst ist Einbildung. Man glaubt, etwas stünde im Weg, was in Wirklichkeit gar nicht existiert. Was jedoch besteht, ist die Chance, seine Fähigkeiten so gut wie möglich einzusetzen und auch mit Erfolg. Wer vor einer Wand steht, darf nicht kehrtmachen und aufgeben, sondern muss sich überlegen, wie er sie am besten hochklettern, durch sie hindurch oder um sie herum gehen könnte.“ Basketball-Filme veredeln, wie freilich die meisten Sportfilme, solche Ansichten. Es sind Filme, die gern von knorrigen, eigenwilligen Trainern erzählen und von Teams, die unterbelichtet erscheinen und am Ende natürlich groß rauskommen. Die underdogs werden zu Gewinnern – was vor allem ein sehr amerikanisches Thema ist, weil dort Sport oft die einzige Möglichkeit war und ist, die sozialen Schranken zu überwinden. Der vielleicht schönste Film in dieser Reihe handelt vom Basketball, heißt „Hoosiers“ (auf Deutsch „Freiwurf“) und spielt 1961 in einem amerikanischen Provinznest in Indiana. Eineigenwilliger Trainer führt sein Highschool-Team zur Landesmeisterschaft. Es gibt brillante Darsteller (Gene Heckman, Dennis Hopper und Barbara Hershey), rasante Kamerafahrten, die den eleganten, wahnwitzigen Kurven des Balles folgen, es gibt den unschlüssig auf dem Korb tanzenden Ball und natürlich ganz viel Pathos, Tränen, glänzende Augen und eine Entscheidung in der letzten Sekunde. Alles ist möglich, das ist die Botschaft. Wer es ganz tiefgründig mag, kann dazu bei dem persischen Mathematiker und Philosophen Omar Khayyam fündig werden: „Du bist der Ball, mit dem das Schicksal spielt, weil Gott, der willenlose Bälle wirft, seit tausend Jahren nach dem Fangkorb zielt.“ Autor: Ulrich Bumann, ehem. Feuilleton-Chef des General-Anzeigers und langjähriger Baskets-Dauerkarten-Inhaber (Erschienen im General-Anzeiger, 18./19.1.2013)