Nanterre-Tagebuch – 29.3.2017: Erfolgreiche Geschäftsreise
Erlebnisbericht von der Reise zum Hinspiel im FIBA Europe Cup-Halbfinale
Gameday, Baby! Der Tag des ersten Spiels im FIBA Europe Cup-Halbfinale ist endlich gekommen. Die Begeisterung und Anspannung ist mit dem Weckruf spürbar und entlädt sich abends in einem historischen Auswärtssieg, der gleichzeitig eine Warnung ist. Von Spaziergängern, wechselnder Schuhmode und kalten Sandwiches.
9:00 Uhr: Vorsehung am Frühstücks-Buffet
Noch bevor die erste Portion Rührei ihren Weg auf einen Teller gefunden hat, ist Coach Predrag Krunic schon lange wach. Er hat sich die Füße vertreten. Den Kopf freikriegen. Die leicht gefütterte Übergangsjacke zeugt davon, dass die französische Sonne sich am Spieltag wohl eher zurückhält.
Aus dem Fahrstuhl schreiten Ken Horton und Julian Gamble. Ersterer nickt zum Beat, welcher aus seinen Kopfhörern wummert, Zweiterer hat bereits einen Gesichtsausdruck aufgelegt, der kleine wie große Kinder augenblicklich verschrecken würde. „This is all business!“ Sagt’s und macht sich über seinen Toast her, als wäre dieser sein ärgster Feind. Kann ja niemand ahnen, dass der König morgens schon weiß, dass er abends einen raushauen wird.
10:12 Uhr: Nach Hause telefonieren
Filip Barovic und Konstantin Klein sind das erste Zimmerpärchen, welches sich in der Lobby einfindet. Das Duo ist bereits mit intensivem Videostudium beschäftigt. NBA-Highlights. Richtig vom Hocker hauen die Clips die beiden allerdings nicht. Ist vielleicht auch besser so, dann hält die Aufmerksamkeitsspanne noch für die Nanterre-Analyse.
Als der Großteil der Mannschaft bereits im Tagungsraum des Hotels ist, folgen Capitano Josh Mayo und sein „Co“ Florian Koch. Passenderweise sind sie Zimmergenossen. Der eine das Eigengewächs, das jede Reise des Teams innerhalb des Kaders Baskets-historisch einordnet und Identifikation schafft. Der andere der in jeder freien Minute mit seiner in Bonn gebliebenen Familie via FaceTime Kontakt haltende Regisseur, dessen gewichtiges Wort und immenses Spielverständnis im krassen Gegensatz zu seinem Kampfgewicht stehen.
10:48 Uhr: Der König schreitet voran
Der Chlor-Geruch ist nicht mehr so penetrant wie noch am Vortag. Oder haben sich die Riechkolben einfach so schnell daran gewöhnt. Wie auch immer, die Mannschaft geht mit einer gesunden Mischung aus Entspannung und Konzentration an die letzte Trainingseinheit vor dem Spiel. Beim Warump sowie den Wurf-Drills wird vereinzelt gescherzt, gibt es den ein oder anderen markigen Spruch. Nicht jedoch von Gamble. „It’s all business!“ Verstanden, oh König.
Coach Krunic tigert unentwegt am Mittelkreis umher. In der linken Hand einige Zettel mit Notizen zu dem Gameplan, welcher Nanterre am Ende des Tages die erste internationale Heimniederlage der Saison beifügen soll. Neben taktischen Anweisungen, bei denen der Übungsleiter auch gern mal diverse Spieler physisch über das Parkett schiebt, gibt er immer wieder eindringlich „Spacing“, „Concentration“ und „Watch … here!“ von sich.
13:00 Uhr: Tunnelblick und Tour Eiffel
Wieder im Hotel zurück werden noch einmal Kalorien gebunkert. Fisch, weißer Reis und gedünstetes Gemüse finden reißenden Absatz. Gesprochen wird wenig. Die gefräßige Stille ist ansteckend. Auch die Gruppe ins Hotel eincheckender Asiaten in der Lobby verstummt beim Blick auf die Bonner Basketballer. Coach Krunic erkundigt sich kurz nach dem Geschmack der angebotenen Suppe – und würzt kräftig mit Salz und Pfeffer nach.
Der Ausgang des Hotels-Restaurant ist gleichzeitig der Eingang in den ganz persönlichen Tunnel. Die folgenden Abläufe sind eingespielt, routiniert und von Person zu Person unterschiedlich. Osteopath Mark Schröder nimmt sich Josh Mayo vor, Konstantin Klein und der Staff machen sich per Metro auf den Weg zum Eiffel-Turm. Aus den Zimmern dringt entweder Musik oder verdauendes Schnarchen.
16:45 Uhr: Kniebeugen und Kinderfresser
Alle wach. Alle im selben Dress. Alle bei der Einnahme des obligatorischen Snacks vor der Fahrt zur Halle. Die Spieler greifen sich Sandwiches und Obst, Yorman Polas Bartolo gönnt sich zudem einen doppelten Espresso. Coach Krunic isst nichts. Stattdessen prüft er mit wachsamen Blick die Bereitschaft des Kaders. Wägt ab. Geht gedanklich den Gameplan durch. Als Polas Bartolo und Co. zum zehnminütigen Spaziergang aufbrechen, macht der Übungsleiter ein paar tiefe Kniebeugen, streckt die Arme, atmet tief ein und aus. Die komplette Körpersprache sagt: Heute wird internationaler Grund betreten, den die Baskets in ihrer Geschichte noch nie unter den Füßen hatten. Als es 2001 und 2002 bis ins Viertelfinale des Saporta Cups ging, war Krunic mit an Bord. Jetzt ist die Zeit gekommen, durch harte Arbeit und mit Leidenschaft das anzuschieben, wovon zukünftig hoffentlich mit einer guten Erinnerung behaftet noch oft gesprochen wird.
Als der Bus vor der Halle hält, sind die knapp 50 aus Bonn angereisten Fans ebenfalls gerade angekommen. Aufmunternde Worte. Gestiegenes Gemeinschaftsgefühl. Gedrückte Hände und High Fives. Die Kopfhörer werden voll aufgedreht. Polas Bartolo tanzt die Rampe zum Spielereingang empor, der König singt. Fetzen von Hip Hop. Explicit Lyrics. Versteckt die Frauen und Kinder. „You ain’t got nothing … I got my squad!“
21:24 Uhr: Heiko, der Hallenwart
Mit 26 Punkten bestätigt Gamble seine Ansage. „Told you so … it’s all business!“ Bonn hat Nanterre mit 77:76 die erste internationale Heimniederlage zugefügt. Grund zur Freude: Ja und Nein. Der erste Schritt ist getan, gleichzeitig beträgt der Vorsprung vor dem Rückspiel im Telekom Dome eben nur diesen einen mageren Punkt. Es gibt kein überbordendes Getrommel auf die Brust.
Auf der Pressekonferenz spricht Coach Krunic von einem schweren Gang. Während er die Partie analysiert, betritt Heiko Schaffartzik den Raum. Auf Socken. Die Schuhe hatte er bereits zur Pause gewechselt – von grün auf orange. Ob er deswegen nur drei seiner zehn Würfe verwandelt hat? Unwahrscheinlich. Es mag eher an der starken Bonner Verteidigung gelegen haben, welche die Franzosen 14,5 Zähler unter ihrem bisherigen Playoff-Schnitt gehalten hat.
Krunic springt schnell unter die Dusche. Tauscht Anzug und Krawatte gegen Hoodie und Jogginghose. Auf dem Weg aus der Halle nimmt Schaffartzik den Kabinenschlüssel der Baskets in Empfang, wünscht gute Fahrt. „Wir sehen uns nächste Woche.“ Sogar nochmal kurz in den Katakomben, da der Sportlerausgang verschlossen ist und Coach Krunic einmal quer durch den Komplex eilt, um schließlich durch den Eingang des Schwimmbads in die einbrechende Nacht zu entfliehen.
3:28 Uhr: Motor aus, Taschen raus
Kurz vor der Abfahrt Hardtberg macht Busfahrer Monty das große Licht an. „Damit alle schnell ins heimische Bett kommen.“ Eilig werden mobile Endgeräte, Bücher und Poker-Chips in Rucksäcke verstaut. Schuhe wieder angezogen, die Rückenlehnen aufrecht gestellt. Der König macht die Ladeluken auf, damit alle an ihre Reisetaschen kommen. Staff und Team gehen getrennte Wege. Massage-Bank, Wasserkästen, Trikottaschen und Medizinkoffer werden in die Kabine gebracht. „We ain’t done yet“, sagt Gamble ... und liegt damit einmal mehr völlig richtig. <iframe height="750" frameborder="no" width="100%" src="https://storify.com/TelekomBaskets/road-to-nanterre/embed?header=false&border=false" allowtransparency="true"></iframe>