„Wir in Bonn brauchen keine Egoisten“

Baskets-Cheftrainer Mathias Fischer im Interview

Will 2015/2016 erneut auf eine große Rotation setzen: Mathias Fischer (Foto: Jörn Wolter)

Die abgelaufene Bundesliga-Saison 2014/2015 beendeten die Telekom Baskets mit dem besten Hauptrundenergebnis der vergangenen fünf Jahre. Dabei legten die Rheinländer wettbewerbsübergreifend gleich zwei Serien á sechs Siege in Folge aufs Parkett. Von Spielen, die mit einer Differenz von fünf Zählern oder weniger ausgingen, gewann Bonn deren beeindruckende 71,4 Prozent (Bilanz: 10-4). Im ersten ausführlichen Gespräch nach seiner Vertragsverlängerung bis 2017 berichtet Headcoach Mathias Fischer über die beiden zurückliegenden Spielzeiten, instinktive Minutenverteilung sowie kollektiven Basketball-IQ.

Coach Fischer, Ihre ersten zwei Jahre in Bonn sind gefühlt wie im Flug vergangenen. Waren die beiden Spielzeiten so, wie Sie es erwartet haben?

Mathias Fischer: „Vor zwei Jahren zu den Telekom Baskets zu kommen, war ein großer Schritt für mich. Schon in Gießen habe ich bei meiner ersten Station als Bundesliga-Headcoach viel gelernt. Hier in Bonn sind nochmals einige Erfahrungen und vor allem Herausforderungen hinzugekommen. Allein mit dem Komplex des Telekom Domes inklusive Trainingszentrum und eigenem Kraftraum sind uns fantastische Bedingungen gegeben. Der Staff, ob von sportlicher Seite oder auf der Geschäftsstelle, arbeitet sehr eng zusammen.
Es war für mich definitiv der richtige Schritt, der mich menschlich und fachlich hat reifen lassen. Besonders die Teilnahme am Eurocup war für mich ein tolles Erlebnis, das ich so noch nicht kannte. Im internationalen Basketball gibt es viel über sich selbst und die eigene Mannschaft zu lernen.“

Gab es diesbezüglich nach der Saison 2013/2014 gewonnene Erkenntnisse, die sich in der Spielzeit 2014/2015 bemerkbar gemacht haben?

„Ja, absolut. Es war deutlich zu sehen, dass durch die Teilnahme an mehreren Wettbewerben die Belastung bei den Spielern enorm hoch ist, was sich vor allem in der zweiten Saisonhälfte auf dem Feld bemerkbar gemacht hat. Deswegen war eine der obersten Prämissen vor der Saison 2014/2015, die Spielzeit noch mehr zu streuen. Gleichzeitig sollte die Einzellast auf die Spieler abnehmen und die Verantwortung möglichst gleichmäßig verteilt werden – das ist uns hervorragend gelungen.“

Im Saisonmittel stand in der Bundesliga kein Baskets-Spieler länger als 30 Minuten auf dem Feld. Die einzelnen Partien betrachtet, gewann Bonn 76,2 Prozent (Bilanz: 16-5) seiner Begegnungen, wenn dies der Fall war. Wie sehr orientierte sich das konkrete Coaching an solchen Zahlen?

„Die Verteilung der Minuten ist großes Thema gewesen, welches wir permanent im Auge hatten. Dabei helfen die während der Spiele erfassten Statistiken natürlich enorm, vieles läuft aber auch instinktiv ab. In der Praxis haben wir während der ersten Halbzeit oftmals vorgefühlt, welche Matchups für uns funktionieren und wer vielleicht einen besonders guten Tag hat. Daran haben wir uns nach dem Seitenwechsel bei der taktischen Ausrichtung orientiert.
Ein Blick auf die Spielweise der europäischen Topmannschaften zeigt, dass dort sehr selten jemand weit länger als 30 Minuten auf dem Feld steht. Der Grund ist, Spieler so intensiver agieren lassen zu können, da sie prinzipiell auch mehr Verschnaufpausen bekommen. Zudem übernimmt jeder mehr Verantwortung, was die Spieler fühlen und somit dem Teamgefüge entgegen kommt.“

Neben den Baskets sind nur die Basketball Löwen Braunschweig ohne personelle Wechsel durch die Saison gekommen. Außerdem sind die Bonner Spieler weitestgehend von Verletzungen verschont geblieben. Wie sehr hat das zum Mannschaftserfolg beigetragen?

„Die Fitness und generelle körperliche Konstitution der Spieler war ein riesiger Faktor, der auch 2013/2014 schon spürbar gewesen ist. An dieser Stelle muss ich das Team hinter dem Team hervorheben, das hervorragend kommuniziert und tolle Arbeit leistet. Ob von ärztlicher Seite, die saisonbegleitende physiotherapeutische Betreuung oder auch das individuell angepasste Krafttraining sowie die Warmup- und Cooldown-Phasen: Es zeichnen viele Hände federführend dafür verantwortlich, dass die Mannschaft möglichst optimal durch die Saison kommt.
Um ausgeglichen und mit einem breiten Kader auftreten zu können, braucht es natürlich auch Spieler, die dieses Konzept entsprechend tragen und voll mitziehen. Einer meiner taktischen Ansätze ist: Let the ball do the work. Über umfangreiches Scouting in Form von Videostudium und vielen persönlichen Gesprächen versuchen wir die richtigen Puzzleteile für unser System zu finden. Dabei spielen viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Wie ist das Verhalten gegenüber Mannschaftskollegen, den Coaches, den Schiedsrichtern? Was signalisiert die Körpersprache nach einem Turnover oder auch einem wichtigen Korb?“

War durch das Scouting im Sommer absehbar, dass die Startformation und die Bankspieler in der Kombination agieren würden, wie es letztlich der Fall war?

„Nein, nicht direkt. Das hat sich im Laufe der Vorbereitung, wo wir die unterschiedlichsten Konstellationen ausprobiert haben, so entwickelt und für alle Beteiligten Sinn gemacht. So kam Ryan Brooks schon im Jahr zuvor von der Bank und hat viele Impulse setzen können – was mir enorm wichtig ist. Bei Mickey McConnell war zudem klar, dass er als Backup auf der Eins verpflichtet wurde. Anders hingegen hat sich die Dynamik mit Dirk Mädrich und Tadas Klimavicius verhalten, die aufgrund ihrer Charaktere für die letztliche Rotation offen waren. Dirk hat es gut getan, mit seiner Bundesliga-Erfahrung gleich von Beginn an im Spiel zu sein, während Tadas dadurch Zeit hatte, um erst einmal einen Eindruck vom Gegner zu gewinnen und so ein Gefühl für die Partie zu entwickeln.“

In der regulären Bundesliga-Saison gehörten die Baskets mit einer Bilanz von 14 Siegen bei nur drei Niederlagen zu den heimstärksten Teams der Beletage. Was hat den Telekom Dome zur Festung gemacht?

„Sportlich lässt sich das schwer erklären, und ich habe darauf auch keine konkrete Antwort. Sicher ist aber, dass sich eine solche Heimstärke im Verlauf einer Spielzeit entwickeln kann, was bei uns anscheinend definitiv der Fall war. Außer Frage steht, dass die Fans im Telekom Dome einen ganz großen Anteil dazu geleistet haben, dass es gegnerische Mannschaften auf dem Hardtberg so schwer hatten. Nicht umsonst haben wir auch drei unserer vier Eurocup-Siege daheim gefeiert.“

Das Playoff-Viertelfinale gegen Ulm verlief anders als erhofft. Das erste und das entscheidende fünfte Spiel gingen trotz Heimvorteil verloren. Was hat den Unterschied ausgemacht?

„Sportlich haben sich beide Mannschaften auf Augenhöhe befunden, das hat die Serie sicherlich eindrucksvoll belegt. Nicht umsonst gingen die ersten drei Spiele allesamt mit einer Differenz von fünf oder weniger Punkten aus – von denen wir zwei gewonnen haben. Am Ende haben Kleinigkeiten den Unterschied ausgemacht, bei denen die vorhandene Playoff-Erfahrung einiger Ulmer Spieler ins Gewicht fiel. Da hat sich bemerkbar gemacht, wer vielleicht schonmal in einem Halbfinale oder gar Finale gespielt hat. Auch die Explosion von Brion Rush kam nicht überraschend – er hat für Chalon während der Euroleague-Saison 2013/2013 einst immerhin fast 14 Punkte pro Spiel erzielt.“

Welche Erkenntnis lässt sich daraus mit Blick auf die Saison 2015/2016 für die Kaderzusammenstellung ableiten?

„Wir müssen es unbedingt schaffen, unseren kollektiven Basketball-IQ hoch zu halten. Ein Quäntchen mehr Athletik wäre sicherlich wünschenswert, um die teilweise aufgetretenen Defizite beim Rebound wett zu machen. Auf uns kommt wieder eine lange Saison mit vielen Spielen zu, weswegen es unser Ziel ist, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln idealerweise eine richtige Zehner-Rotation aufs Parkett zu bringen.“

Fest steht schon jetzt, dass es ein Wiedersehen mit den Giessen 46ers gibt. Wie groß ist die Vorfreude auf das Kräftemessen mit den Mittelhessen?

„Das wird großartig. Gießen hat für mich eine besondere Bedeutung, da ich dort meinen Einstieg in die Bundesliga als Headcoach gefeiert habe. Es gibt viele tolle Momente, die ich bei und mit den 46ers erleben durfte. Eine Menge Leute dort sind schon lange mit dem Basketball verbunden und haben ihr Wissen sowie ihre Geschichten geteilt.“

Bis es so weit ist, steht allerdings noch die lange Sommerpause auf dem Programm. Wie sehen die nächsten Schritte der Telekom Baskets Bonn aus?

„Viele Dinge laufen parallel und rund um die Uhr. Die Offseason ist immer spannend, da sich der Markt und die Mannschaften ständig verändern. Ganz konkret reise ich am Wochenende nach Treviso, um mir bei dem jährlich dort stattfindenden Camp die europäische Nachwuchs-Spitze anzuschauen. Es wird interessant sein zu sehen, auf welchem Level die Spieler der unterschiedlichen Nationen im Vergleich zu deutschen Spielern sind. Natürlich geht es auch um den Austausch mit Trainerkollegen, Managern und Agenten – um die Pflege des Netzwerkes. Das werden drei Tage Basketball pur.“