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Staatsfeind Nr. 1

Oldenburgs Veteran Rickey Paulding im Portrait

Es gibt wenige Spieler, die das deutsche Oberhaus im vergangenen Jahrzehnt nachhaltig geprägt haben. Schon gar nicht in Diensten eines einzigen Clubs. Genau dieser Umstand trifft auf Rickey Paulding zu, der zu den Telekom Baskets Bonn eine ganz besondere Beziehung pflegt.

Topscorer seiner Mannschaft: Rickey Paulding (Foto: Ulf Duda)

Seit Ende der 80er Jahre herrschte in Detroit nicht solch eine Stimmung wie 2004. Die als „Motor City“ bekannte Stadt im US-Bundesstaat Michigan ist völlig eingenommen von der NBA-Finalserie gegen die weltberühmten Los Angeles Lakers. Kleine Namen wie Chauncey Billups oder Rip Hamilton gegen die Superstar-Combo um Kobe Bryant und Shaquille O’Neal … ernsthaft?! Die Entscheidung scheint in den Köpfen vieler Medienvertreter schon vor dem ersten Hochball festzustehen. Und doch kommt es ganz anders. In bester Blaumann-Manier schrauben die Pistons den Favoriten aus dem Westen mit 4:1 auseinander, zerlegen die Lakers-Dynastie fein-säuberlich in ihre Einzelteile. Die ganze Stadt feiert ihre Helden, trommelt sich auf die Brust ob des Erfolgs von David über Goliath.

We got a force -
enemy down


Unter den jubelnden Söhnen Detroits ist auch Rickey Paulding, der zuvor im Frühjahr an der University of Missouri seinen College-Abschluss absolvierte und eine verheißungsvolle Karriere als Profi anstrebt. Auf dem Bewerbungsschreiben des damals 21-Jährigen stehen amtliche Werte produktiver Saisons als Junior (17,4 PpS, 5,6 RpS, 38,9 Prozent Dreier) sowie Senior (14,8 PpS, 4,2 RpS, 2,6 ApS). Das Spiel des variablen Flügelspielers schreit förmlich nach NBA. Der breite Oberkörper ist wie gemacht, um sich im Positionskampf mit den besten Athleten des Planeten allabendlich zu messen. Als dann auch noch die frisch gekürten Champs, sein Team, die Detroit Pistons an 55. Stelle der Draft ihren Pick auf Rickey Paulding verwenden, scheint der basketballerische Himmel näher denn je. Doch ein konkreter Vertragsabschluss bleibt aus. Mit seinen 1,96 Metern ist Paulding als Small Forward in der NBA einen Tick zu klein, um effektiv als Shooting Guard eingesetzt zu werden fehlt das Ballhandling.

Was bleibt, ist der Schritt gen Übersee. Zur Saison 2004/2005 geht es nach Israel zu Hapoel Jerusalem. Ein sportlicher wie kultureller Schock, den Paulding erstaunlich gut verdaut. Dennoch heuert er zur darauffolgenden Spielzeit bei ASVEL Lyon-Villeurbanne an. In Frankreich fühlt er sich so wohl, dass er dem Land treu bleibt und 2006/2007 für Gravelines aufläuft. Dort spielt er sich auf den Radar von Predrag Krunic, der in Oldenburg einen neuen Kader schmiedet und noch einen Flügel braucht, der an beiden Ende des Feldes Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen kann. Als Paulding an der Hunte einen Dreijahresvertrag unterschreibt, ist dies der Startschuss zu einer langen und illustren Bundesliga-Karriere, wie sie nur ganz wenigen Akteuren vergönnt war, ist und sein wird. Dass es in den Folgejahren immer wieder zu hitzigen Aufeinandertreffen mit den Telekom Baskets kommt, scheint dabei ein makabrer Wink des Schicksals zu sein.

Cause you and your crew
is only known for good triers

Bei den Niedersachsen ist Paulding vom ersten Tag an absoluter Leistungsträger. In seiner BBL-Premierensaison 2007/2008 beweist er während der Hauptrunde mit durchschnittlich 12,5 Punkten, 3,5 Assists, 1,2 Steals und einer Dreierquote von 38,9 Prozent, dass er im deutschen Oberhaus mithalten kann. Letzte Zweifel räumt der Amerikaner im Playoff-Viertelfinale gegen Bamberg aus, welches Oldenburg zwar verliert, Paulding jedoch mit 14,3 PpS und 6,3 RpS die fränkische Verteidigung in Atem hält. Was folgt, sind sechs weitere Spielzeiten, in denen der Swingman sich jeweils als Topscorer oder zumindest zweitbester Punktesammler Oldenburgs in den Sommerurlaub verabschiedet – als Meister, nach einer Finalserie, die bis heute als tiefer Stachel im Bonner Fleisch sitzt.

„Es ist Wahnsinn, was damals alles passiert ist. Die ganze Serie war ungemein intensiv, und niemand hätte auch nur ansatzweise ahnen können wie das fünfte Spiel ausgeht“, berichtet Paulding. „Richtig bewusst geworden, was da alles in diesen 23 Sekunden passierte, ist mir tatsächlich erst Jahre später. Das war alles völlig surreal – und ist es in gewisser Weise auch heute noch.“ Mit 20 Zählern trägt Paulding maßgeblich dazu bei, dass die Nordlichter am Ende mit 71:70 die Nase vorn haben. „Dieses Spiel war einfach unglaublich. In den Auszeiten zuvor haben wir uns in die Augen gesehen und dachten eigentlich, dass die Nummer für uns gelaufen sei.“

Es ist der Auftakt für viele intensive Duelle zwischen Huntestädtern und Rheinländern, in denen Paulding regelmäßig zu großer Form aufläuft. Playoff-Viertelfinale 2013. Playoff-Viertelfinale 2014. Pokal-Halbfinale 2015. Dazu noch im Eurocup. „Auch wenn du schon lange in der Liga bist, gibt es Mannschaften, mit denen sich deine Wege nur selten kreuzen. Bei uns und Bonn ist das anders. Warum auch immer treffen wir regelmäßig aufeinander – in den unterschiedlichsten Wettbewerben“, sagt der Familienvater. „Als es vor vier Jahren im Viertelfinale wieder auf eine lange Serie hinauslief, dachte ich nur: Nicht schon wieder ein fünftes Spiel! Dass sich das Ganze dann 2014 wiederholte, war das absolute i-Tüpfelchen.“

And let them know
what goes on

Unlängst hat Paulding seinen auslaufenden Vertrag bei den Nordlichtern bis 2019 verlängert. Eventuell aufkommende Sorgen, dass er langsam in die Jahre kommt und an Wert für die „Donnervögel“ verliert, scheinen völlig unbegründet. Der 1,96 Meter-Mann ist aktuell mit 15,8 Zählern pro Spiel bester Punktesammler seines Teams – und liefert damit offensiv den besten Wert seiner Karriere. Dabei versteift er sich nicht einmal vermehrt auf den Dreier, der außerordentlich sicher fällt (41,5 Prozent Trefferquote). Paulding schafft den schwierigen Spagat zwischen Abschlüssen aus der Mitteldistanz und in Brettnähe sowie aus der Distanz mit spielerischer Leichtigkeit. Nur 45,4 Prozent seiner Würfe kommen von jenseits des Perimeters, was vor einigen Jahren noch bedeutend anders aussah – in der Saison 2009/2010 gingen 57,3 Prozent seiner Würfe von „Downtown“ aus auf die Reise. Es scheint, als habe er den Ensmingerschen Jungbrunnen gefunden und einen großen Schluck daraus genommen, woraus sich ableiten lässt, dass Duelle zwischen Bonn und Oldenburg auch in den kommenden Jahren weiterhin eine besondere Brisanz haben werden. Rickey Paulding sei Dank.

 


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