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„Ich vermisse den Karneval“

Venezia-Center Marie Gülich im Interview

Es gibt wenige Clubs, bei denen Damen und Herren in der jeweils höchsten Spielklasse an den Start gehen. Geschweige denn auch noch auf internationalem Parkett unterwegs sind. Bei Umana Reyer Venezia ist allerdings genau das der Fall. Mit Marie Gülich steht bei dem italienischen Traditionsverein eine Deutsche unter Vertrag, die in Rhöndorf die gute rheinische Basketball-Grundschule durchlief. Bevor die Herren der Schöpfung am Dienstag, den 6.11.2018, im Telekom Dome gastieren, sprach die 24-Jährige über Hochwasser, Spielzeit und gelebten Stolz.

Nach Marlies Askamp und Linda Fröhlich die dritte Deutsche in der WNBA: Marie Gülich (Foto: FIBA)

Marie, zuletzt war Venedig abseits des Sports vor allem wegen Hochwasser-Meldungen in den Nachrichten. Wie viel bekommt ihr außerhalb der davon mit?

Marie Gülich: „Die Arena steht zum Glück ein wenig außerhalb des Zentrums in Mestre. Dort sind auch die Spielerwohnungen, wodurch wir nicht unmittelbar von dem Hochwasser betroffen sind. Aber wir reden natürlich innerhalb der Mannschaft viel darüber, und es ist auch ein wenig befremdlich, wenn du Menschen begegnest, die aus dem Zentrum kommen und noch ihre Fischer-Hosen anhaben. Unsere Physiotherapeutin hält uns auf dem Laufenden, da sie eine Wohnung in der City hat, derzeit aber aufgrund der Lage auch nach Mestre gezogen ist.“

Wie schwer ist dir die Umstellung auf den europäischen Lebensstil nach deiner Zeit an der Oregon State sowie in Phoenix gefallen?

„Ich bin jetzt seit knapp drei Monaten in Italien und fühle mich wirklich wohl. Während der Saisonvorbereitung war sogar genug Zeit, um sich ein paar Sehenswürdigkeiten anzuschauen und andere Städte zu besuchen. Nach vier Jahren in den Staaten ist Italien jetzt gefühlt wahnsinnig nah an der Heimat – das merke ich daran, dass sich schon viel Besuch für die kommenden Wochen und Monate angekündigt hat. Allerdings musste ich mich erstmal wieder daran gewöhnen, dass die Einkaufsläden sonntags geschlossen haben." (lacht)

In Altenkirchen geboren, in Rheinbrohl gewohnt, in Rhöndorf und am Hagerhof gespielt, danach ab in den Ruhrpott und von dort in die USA … würdest du das Rheinland immer noch als deine Heimat bezeichnen?

„Absolut. Immer wenn ich in Rheinbrohl bin, kann ich richtig abschalten und komme wirklich runter. Ich wurde schon oft gefragt, wie es im Rheinland ist – aber das ist wahnsinnig schwer zu beschreiben. Die vielen Hügel, die Wälder, der Rhein, dazu kleine Schlösser und die spezielle Mentalität der Menschen.
Vor allem aber vermisse ich den rheinischen Karneval. Das ist absolut einzigartig, und ist vor allem den Amerikaner nur schwer zu vermitteln, wenn man diese Zeit des Jahres selbst noch nie miterlebt hat. Jetzt bin ich aber gespannt, wie sich der weltberühmte Karneval in Venedig anfühlt, wenn man mittendrin ist.“

Apropos: Mentalität: Wodurch unterscheidet sich Italien von all dem, was du bislang von der Welt gesehen hast?

„Bevor ich nach Venedig kam, kannte ich Italien nur aus Urlauben in Rom und Florenz. Aber wenn du als Touri unterwegs bist, bekommst du nur wenig vom Alltag und der Mentalität der Menschen mit. Das ist jetzt ganz anders, wobei die Italiener in erster Linie als warmherzig kennengelernt habe. Gleichzeitig sind sie auch enorm emotional, wenn Dinge mal nicht nach ihren Vorstellungen funktionieren. Dann wird viel geredet und wild gestikuliert – die Klischees müssen schließlich irgend herkommen." (lacht)

Gibt es auch den italienischen Basketball betreffend Klischees, die sich auf dem Feld widerspiegeln?

„Jein. Mir persönlich ist allerdings bewusst geworden, wie sehr sich amerikanischer und europäischer Basketball unterscheiden. Am College und vor allem in der WNBA wird viel physischer gespielt. Bei Oregon State habe ich fast nur in Brettnähe abgeschlossen, kaum Würfe aus der Mitteldistanz oder weiter außen genommen. In Europa bist du als Center deutlich mehr unterwegs. Für mich kam hinzu, dass ich mich in Venedig erst wieder daran gewöhnen musste, offensiv mehr Akzente zu setzen.“

…weil deine Rolle bei Phoenix Mercury eine andere war?

„Genau. In der WNBA war ich Rookie, hatte mit Brittney Griner allerdings auch eine der besten Center-Spielerinnen der Welt direkt vor der Nase. Für mich ging es in Phoenix darum, mental immer bereit zu sein, mich im Training zu beweisen und darüber hinaus für Spielzeit zu empfehlen. Die Verantwortlichen, aber auch eine Diana Taurasi, alle haben mich unterstützt und mir bei meiner Entwicklung weitergeholfen. Es ging darum, sich durch diese erste WNBA-Saison durch zu arbeiten, auch ohne „learning by doing“ Fortschritte zu machen und stets aggressiv zu bleiben.
Als ich bei Venedig unterschrieb, haben alle gesagt, dass es für mich jetzt darum geht, die Erfahrungen des Sommers aufs Parkett zu bringen. Mein Ziel ist, 2019 als bessere Spielerin zum Mercury-Trainingscamp zu kommen.“

In Italien seid ihr ungeschlagen, im EuroCup weist ihr eine ausgeglichene Bilanz (1-1) vor. Sind die Ergebnisse auch das Ergebnis deiner individuellen Leistung?

(lacht) „Ich hoffe es. Es hat aber durchaus ein wenig gebraucht, bis ich mich an die veränderte, größere Rolle gewöhnt hatte. Dabei hat mir geholfen, dass ich in der WNBA gelernt habe mit Herausforderungen umzugehen. Neues Land, neues Team, neue Plays, neue Verantwortung … das war vor allem für den Kopf zu Beginn nicht ganz einfach. Aber spätestens seit der Euroleague-Quali Anfang Oktober hat es definitiv „Klick“ gemacht und ich habe zu meinem Spiel gefunden.“

Eure Herren-Mannschaft ist ebenfalls gut in die Saison 2018/2019 gestartet. Wie viel bekommt ihr von dem mit, was die Jungs in der SerieA und BCL machen?

„Wir sehen uns regelmäßig in der Halle, da unsere Trainingszeiten direkt hintereinander liegen. Bei dieser Gelegenheit tauschen wir uns gern darüber aus wie es beim jeweiligen Team läuft. Wenn es der Spielplan zulässt, besuchen wir auch gegenseitig unsere Spiele – da kann man viel guten Basketball schauen. Der Club ist wahnsinnig stolz auf beide Mannschaften, das ist sehr deutlich spürbar. Sowohl in der vereinseigenen Kommunikation, aber auch an der Resonanz der Fans merken wir, dass hier Erfolg gelebt wird.“

Am Dienstag (6.11.2018, 20:00 Uhr im Telekom Dome) sind eure Herren der Schöpfung im Telekom Dome zu Gast, für euch geht es mittwochs nach Ungarn zu Aluinvent Miskolc. Wie groß ist der Neid auf den „Heimatbesuch“ der Männer?

(lacht) „Das wäre eine schöne Reise gewesen, absolut. Als Ausgleich dafür komme ich im November nach Deutschland, wenn wir mit der DBB-Auswahl in der EM-Quali unterwegs sind. Am 17. November spielen wir in Marburg – das ja quasi vom Rheinland aus um die Ecke ist – gegen Belgien, am 21. November geht’s in Wolfenbüttel gegen die Schweiz. Darauf freue ich mich jetzt schon.“




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